Néfertiti liegt im Scheitel der Genner Bugt vor Anker. Ich wache früh auf. Schiebe das Luk auf und strecke meinen Kopf aus dem Niedergang: Grauer Himmel. Tiefe schnell ziehende Wolken. Nicht gerade einladend. Aber ich will nicht noch einen Tag ankern. Will endlich segeln. Egal wie das Wetter ist…
Ich schalte das Gas ein und koche mir einen Tee. Sitze wartend auf der Koje und schaue mir zum x-ten Mal die Seekarten an. Bereite den Weltempfänger vor. Um 6.40 Uhr kommt der Wetterbericht:
„Belte und Sund: …“ Es folgt die exakte Wiederholung von gestern. Starkwind und Schauerböen. Letztere nötigen mir inzwischen einigen Respekt ab. Da ich Volker nicht erreiche, und auch der Trend für die nächsten Tage nur Schwerwetter segeln in Aussicht stellt, sollte ich wohl nicht weiter nach Norden laufen. Ich sollte vor Anker bleiben. Oder zumindest südwärts segeln. Könnte die Schlei entdecken. Sie soll eine Perle sein und außerdem ist sie geschützt. Aber etwas in mir wehrt sich dagegen umzukehren. Warum habe ich Volker nur zugesagt?! Jetzt passiert mir genau das, was ich überhaupt nicht mag (zurückhaltend ausgedrückt): Segeln mit Termindruck. Ich habe sieben Tage um nach Hamburg zu kommen. Wo ist mein Meer von Zeit und Möglichkeiten geblieben?
Ich schütte das letzte Müsli in eine Schüssel, schneide einen Apfel klein und gebe über alles den letzten Rest Traubensaft. Als ich den ersten großen Löffel nehme, bleibt er mir im Halse stecken. Der Traubensaft ist gegoren…
Gegen 8.00 Uhr nehme ich die Segelkleider ab und lichte den Anker. Die Frau von der Möwe winkt zum Abschied. Ich winke zurück und laviere mich vorsichtig durch das Feld der Ankerlieger.
Kaum draußen stoppe ich auf, um die Genua auszuziehen. Sie klemmt. Dabei sieht alles ganz normal aus. Ich gehe nach vorne, aber auf der Trommel ist kein Überläufer. Versuche die Genua von Hand zu drehen. Sie hakt. Mein Blick wandert das Vorstag hoch. Das Fall mit dem ich den UV-Schutz hochgezogen hatte, ist einmal um das Vorstag geschlungen. Da habe ich heute morgen nicht aufgepasst. Gehe zum Mast, löse das Fall von der Klampe, führe es um das Vorstag, belege es und kehre ins Cockpit zurück. Jetzt lässt sich die Genua leicht ausrollen.
Ich stoppe die Maschine und gehe auf Kurs. Halber Wind. Rigge die Windfahnensteuerung. Nur noch schnell das Groß setzen. Werde gleich das erste Reff einbinden und hänge die erste Kausch in den Reffhaken. Begebe mich zurück ins Cockpit, um das Groß zu hissen (Fall und Reffleinen sind ins Cockpit zurück geführt). Ich staune nicht schlecht, als ich merke, dass ich offensichtlich die erste Kausch übersehen habe. Die, die im Haken hängt, gehört zum zweiten Reff. Ich nehme es als zweite Mahnung der Götter heute vorsichtig zu sein und belasse es dabei. Setze die Reffleine des zweiten Reffs durch. Als ich die Großschot dichthole, läuft Néfertiti über vier Knoten. Das reicht uns alle Male. Und diese Schauerböen will ich nicht mehr unterschätzen. Hat mich schließlich auf diesem Törn schon zwei Segel gekostet…
So macht Segeln Spaß. Wind und kaum bewegtes Wasser. Leider fängt es an zu regnen. Ich zupfe an der Windfahnensteuerung, während Néfertiti ungeduldig auf Barsø zu läuft. Eine erste Bö fällt über uns her und ich bin ganz zufrieden mit dem 2. Reff im Groß. Néfertiti würde gerne mehr Segel tragen, aber ich bin schließlich zur Vorsicht gemahnt worden …
Unter tiefgrauem Himmel erreichen wir Barsø und drehen südwärts. Ich habe den Kurs wieder auf die Untiefentonne abgesteckt. Außerdem können wir uns gut an Knudhoved und Als orientieren. Über Land dräut es schwarz. Die nächste Wolke zieht schnell heran. Néfertiti läuft mittlerweile fast 5 Knoten und ich reffe die Genua vorsorglich ein.
Wenig später geht es los. Regen prasselt hernieder und verschlechtert die Sicht dramatisch. Erst verschwindet Als, dann das Festland und zuletzt sogar Knudshoved. Wir sind allein in grauer, nasser Watte. Hatte ich mir nicht auf dem Herweg gewünscht hier unterwegs zu sein, ohne ständig andere Boote zu sehen?
Gottseidank habe ich jetzt den funktionierenden Kompass. Ich koppele die Windfahnensteuerung aus, um von Hand zu steuern. Wenn man nichts mehr sieht, kommt es auf einen möglichst exakt gesteuerten Kurs an. Hoffentlich treffe ich die Untiefentonne …
Ich spüre den Wind und die Wellen. Alles handig, und obwohl ich die Segel so stark gerefft habe, steht die Loganzeige immer wieder jenseits der 6 Knoten Grenze …
Die Wellen sind nicht hoch. Gelegentlich taucht Néfertiti in eine Welle ein, hinterlässt ein Feld von Schaum und stürmt weiter. Meist gleitet sie leicht darüber hinweg. Néfertiti mag dieses Wetter. Nur ich werde nass und nässer. Von oben, denn Néfertiti segelt ohne viel Wasser an Deck zu nehmen. Als dann doch einmal Gischt bis ins Cockpit spritzt, bin ich erstaunt, wie warm sie sich anfühlt. Ich denke nach: Sollten wir die Untiefentonne nicht in Sicht bekommen, werden wir irgendwo auf Land stoßen. Ich glaube, dass wir das Land trotz der schlechten Sicht sehen werden, bevor es zu flach für uns wird. Zur Sicherheit läuft aber sowieso das Echolot mit. Dann könnten wir uns dem Ufer folgend in den Als Fjord hineintasten..
Da taucht etwa eine Seemeile steuerbord voraus im undurchdringlichen Grau die Untiefentonne auf. Wow! Wir sind genau auf Kurs. Das freut das Navigatorenherz. So kann Néfertiti auf 146° gehen. Die geschätzte Abdrift von 10-15° war auch korrekt. (Die Abdrift durch Wind lässt sich relativ gut schätzen, indem man die Recht-achteraus-Achse des Bootes in Beziehung zum Kielwasser setzt) Der Als Fjord ist navigatorisch unproblematisch. Wir werden unseren Weg auch ohne Sicht finden. Muss nur an der Pinne ausharren…
♦♦♦
Schreibe einen Kommentar