Gegen 19.30 Uhr wache ich auf. Durch das geöffnete Luk fällt mein Blick auf den Himmel. Er hat sich zugezogen. Die innere Schwere ist nicht verschwunden. Ima sitzt auf ihrer Koje und schaut mich an. Versucht ein Lächeln.
„Wollen wir jetzt an Land?” Wir? Fühle mich nicht als wir. Aber Bewegung tut beiden sicher gut.
„Ok.“
Ich pumpe das Schlauchboot auf. (Muss ich inzwischen alle paar Tage machen, denn eine Kammer lässt Luft. Überhaupt ist Echna vorzeitig in die Jahre gekommen. Hat nicht die Qualität Néfertitis…) Plötzlich springt der Wind auf Westnordwest um und erreicht sofort Sturm stärke. Faucht lautstark und drohend in den Wanten. Ima streckt ihren Kopf zum Luk heraus:
„Was ist denn das?!“ Ich zucke mit den Achseln. Pumpe Echna weiter auf. Wenige Minuten später hat sich schon ein unerwartet steiler Seegang aufgebaut. Dabei beträgt der Fetch nur ein paar hundert Meter und die Wassertiefe maximal 2-3 m. Weiße Schaumkronen überall und Néfertiti reißt unruhig an ihrer Ankerkette. Und der Wind dreht weiter… Ich verzurre Echna wieder auf dem Vordeck und gehe zurück zum Cockpit:
„Aus dem Ausflug wird nichts. Wir müssen hier verschwinden.“
„Meinst du?!“
„Ja …“ Wenn der Wind nur noch etwas weiter dreht, liegt Néfertiti auf Legerwall und dann hat er einen richtigen Fetch!
„… zwei Meilen hinter der Brücke gibt es einen besser geschützten Ankerplatz und zur Not auch einen Hafen.“ Allerdings macht die Brücke eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang nicht mehr auf. Und wer weiß, ob sie bei dem Wind überhaupt öffnet?
Ich nehme mir nicht die Zeit, Ölzeug überziehen. Ima geht an die Pinne und startet den Motor. Ich begebe mich auf das Vorschiff. Der Anker hat sich so fest eingegraben, das wir ihn zweimal überfahren müssen, um ihn auszubrechen. In der kurzen Welle stampft Néfertiti inzwischen wild. Ima übergibt mir die Pinne und steigt den Niedergang hinunter. Sie reicht mir von unten meine Jacke hoch, ohne dass ich sie dazu aufgefordert hätte. Ich ziehe sie über.
„Danke.“
Wenig später erreichen wir das Fahrwasser und nähern uns der Brücke. Néfertiti arbeitet schwer in der steilen Welle. Gischt spritzt zur Seite weg. Immer wieder dreht die Schraube frei. Keine Lichter. Die Brückensignale sind dunkel. Wenn die Brücke in Betrieb wäre, müssten zwei senkrechte rote Lichter leuchten. Ich nehme das Gas weg und wir treiben unter blanken Mast auf die Brücke zu.
„Was ist?“ Ima sieht mich besorgt an.
„Die Brücke ist nicht in Betrieb.“ Erst Mal nachdenken. Wo könnten wir hin? Wo könnten wir Schutz finden?
„Wir kommen hier nicht durch?!“
„Nein.“ Vielleicht in Lee einer der Inseln ankern? Plötzlich leuchten zwei rote Lichter senkrecht auf. Was für ein Glück! Inzwischen sind wir recht nah an die Brücke getrieben und ich drehe den Bug gegen Wind und Welle und gebe etwas mehr Gas. So stehen wir auf der Stelle und warten.
Kurz darauf hebt sich der eine Brückenflügel. Ich drehe auf die Öffnung zu. Die Brücke steht offen, aber die Signale springen nicht auf grün. Also drehe ich im letzten Moment ab. Komisch… Da kommt der Brückenwärter aus seinem Häuschen und winkt uns mit großer Geste heran. Wir sollen durch fahren. Na gut. Bei der Durchfahrt winken wir dem Mann zu, dankbar, dass er die Brücke für uns noch einmal geöffnet hat. Hinter der Brücke ist der ganze Aufruhr zu Ende. Ententeichverhältnisse. Hier liegt der Hafen. Es riecht streng nach Fäulnis.
„Weiter?“ Ima nickt heftig.
„Unbedingt!“ Wir fahren am Hafen vorbei. Allerdings wird das Wasser wieder unruhiger je weiter wir uns von der Brücke entfernen. Der Ankerplatz liegt hinter der ersten Biegung. Vermutlich (hoffentlich) genauso gut geschützt.
Bei der zweiten roten Tonne verlässt Néfertiti das Fahrwasser. Zwei gelbe Muringtonnen weisen den Weg. Das Echolot zeigt 3 m an bei der Tonne, springt dann auf 2 m, 1,90 m. Ich stoppe auf, aber bevor Néfertiti steht, springt das Echolot wieder auf 2,90 m. Sind das Wasserpflanzen oder Steine? Zu sehen ist nichts. Aber es sind keine Steine in der Seekarte eingezeichnet. Also tasten wir uns ganz vorsichtig mit langsamster Fahrt vor. Das Echolot springt wild hin und her. Ich laufe noch an den Muringbojen vorbei und schließlich fällt unser Anker ganz dicht unter Land. Das Echolot zeigt hier maximal 2,40 m Wassertiefe. Ima sagt:
„Ist das schön hier!“ Ich starre sie entgeistert an. Worüber zerbricht gerade unsere Beziehung? Sie missdeutet mein Schweigen und sagt:
„Guck doch! Traumhaft.“ Ja, schön ist es hier. Wir ankern im Schutz des Waldes, der über einer niedrigen Steilküste thront, und im Westen steht Schilf. Ima ist voller Tatendrang:
„Ich koche uns was Leckeres.“
„Ok.“ Begeisterung klingt anders. Sogar in meinen Ohren. Ima wirft sich ins Zeug und zaubert eine fürstliche Mahlzeit, während es draußen langsam dunkel wird.
Eine viertel Stunde später tobt ein Unwetter über uns hinweg. Regen prasselt auf das Deck, so dicht, dass sich das andere Ufer unseren Blicken entzieht. Obwohl der Wind im Rigg heult und faucht, liegt Néfertiti ruhig wie auf einem Dorfteich. Ruhiger als in manchem Hafen. Ima ist voller Bewunderung:
„Unglaublich. Du hast echt ein Händchen für Ankerplätze.“ Gestern hätte ich mich über solches Lob gefreut, aber im Moment bin ich dafür nicht empfänglich. Ich erkenne mich gar nicht wieder. Bin doch sonst nicht nachtragend. Und ich bemerke auch, wie sehr sie sich gerade Mühe gibt. Aber in mir ist immer noch diese alles niederdrückende Traurigkeit.
Nach dem Essen gehen wir bald zur Koje. Diesmal schläft Ima schneller ein, während ich noch lange auf das Heulen im Rigg lausche, auf das Fallen der Regentropfen …
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Dieser Blog Eintrag spielt am 4.8.15
Oh man Klaus, so schön geschrieben. Deine Traurigkeit verwandelt in Rythmus und Inhalt. Hoffe sie hat dann bald danach ein Breitseite bekommen. Der Schlaf war ja eh schon nahe und meistens hilft doch Schlaf. Das Gefühl der Vereinzelung ist möglich sogar das Unangenehmste, nach Verrat und Tod. War jetzt ehrlich ein schönes Leseerlebnis. In der Hundekoje wettere ich schon den ganzen Tag Sturm über dem Hafen ab und habe mir für die gemütliche Zeit auf einmal eine Folge aus Nefertitis baldiger Langfahrt hier unter Deck gewunschen und danach gerne die depperten Roaming gebühren in Kauf genommen.
Alles Gute,
rob
Wow! Mit dem Kommentar machst Du mir eine große Freude. Wo steckst Du denn? Ich hoffe, das miese Wetter ist bald an Dir vorbeigezogen…
Danke auch für das „Teilen“
Liebe Grüße, wo auch immer Du gerade weilst…
Klaus
Danke für die Geschichte,sitze noch beim Kaffee in der Bude und bin froh bei dem Schmuddelwetter nicht draußen zu sein!
Oh Mann. Dieses Schmuddelwetter. Habe gestern Abend das Arbeiten auf heute früh verschoben, weil ich bei dem Regen einfach nicht mehr vor die Tür wollte…
Freut mich, dass Dir die Geschichte gefallen hat
Liebe Grüße
Klaus
Danke Klaus, schön geschrieben. Ich war einen Monat später im Sund und habe das gleiche Problem mit der Brücke gehabt.
Erst sah uns der Brückenwärter nicht kommen und nach Anruf gingen die Lichter an. Als drei rote Lichter in Reihe geschaltet waren rief er uns an und winkt uns durch. Merke: 2 rote Lichter(2F.R): Fahrzeuge aus Norden können passieren, 3 rote Lichter(3F.R): Fahrzeuge aus Süden können passieren.
Herzliche Grüße
Michael
Hi Michael,
ist schon von Vorteil, wenn man ins Handbuch schaut …
Ich hätte grün erwartet, wie die freie Durchfahrt sonst meistens angezeigt wird. Danke für Deinen Hinweis. Dann wissen wir das nächste Mal Bescheid.
Liebe Grüße
Klaus