Am nächsten Morgen herrscht blauer Himmel und strahlender Sonnenschein. Ganz im Gegensatz zu meinem inneren Befinden steht kaum eine Wolke am Himmel. Néfertiti liegt unbewegt an ihrer Ankerkette. Das Ufer strahlt eine Lieblichkeit aus, der sich auch ein niedergeschlagener Skipper nicht entziehen kann. Das Licht auf dem Wasser und im grünen Laub. Wir haben einen wunderschönen Platz gefunden. Ich setze mich ins Cockpit und lasse den Zauber der Umgebung auf mich wirken …
Ima hat schon Wasser für einen Guten-Morgen-Tee aufgesetzt. (Wie sie ihn nennt) Der Teekessel pfeift und Ima reicht mir kurz darauf meine dampfende Lieblingstasse heraus. Sie sagt:
„Bloß schade um die schöne Thermoskanne.“ Ich verstehe mich selbst nicht. Warum habe ich mich so hinreißen lassen?
„Ich dachte wir brauchen mal eine Neue. So ein richtig hässliches Ding! Ohne Edelstahl und ohne Chique. Am Besten eine, die auch kaum warm hält, damit man sich nicht immer den Mund verbrennt.“
„Ach Klaus!“ Plötzlich hat sie Tränen in den Augen. Sie klettert schnell den Niedergang hoch und setzt sich neben mich:
„Ich dachte schon ich hätte diesen Klaus, der mich immer zum Lachen bringt, für immer verloren.“ Wir schauen uns in die Augen. Plötzlich ist mein Mitgefühl wieder da, auch wenn ich mich innerlich noch vollkommen wund fühle.
„Ach du.“ Ima muss auch schreckliche Stunden hinter sich gebracht haben.
„Darf ich?“ Ohne meine Antwort abzuwarten umarmt sie mich. Ich versuche den Tee nicht zu verschütten und stelle die Tasse auf dem Seitendeck ab. Lege meine Arme um sie. So sitzen wir eine lange Weile umarmt. Später, im Laufe der Tage, werden wir immer wieder über den Ausbruch der Aggressionen sprechen und mir wird bewusst werden, dass meine Aggression nicht weniger furchteinflößend ist, nur weil sie sich nicht direkt gegen mein Gegenüber richtet. Ich fühle mich immer noch schwer, es ist nicht alles gut. Aber ich fühle genau: Es ist dieser Moment, in dem die Heilung beginnt …
Irgendwann lösen wir uns von einander. Ich sage:
„Ich möchte heute nicht segeln.“
„Ich auch nicht.“ Und nach einer Pause fügt sie dazu:
„Wir können ja den Landausflug nachholen.“
„Ja. Klingt gut.“
„Ich lade dich auch zum Essen ein.“ Ich nehme einen Schluck Tee. Er ist nur noch lauwarm.
„Und vielleicht finden wir auch eine neue Thermoskanne.“ …
Der Weg am Ufer entlang ist wunderschön. Leider endet er vor einem Elektrozaun. Das heißt: Eigentlich führt er hinter dem Zaun weiter. Und ein Stückchen weiter gibt es einen zweiten Zaun quer über den Weg. Wir gucken uns an. Dann löse ich den Draht aus seiner Halterung. Lasse Ima durchgehen, folge ihr und hänge den Draht hinter uns wieder ein. Irgendwo schreit ein Tier. Klingt laut und groß. Keine Ahnung was das war. Die Büsche und Unterholz geben keinen Blick frei.
„Weiter?“ Ima nickt. Wir haben schon fast den zweiten Zaun erreicht, als hinter einem Busch ein großes braunes Etwas auftaucht. Da hinten sind noch weitere. Es sind Pferde. Erleichtert gehen wir weiter. Nach Wiehern hatte der Laut eben aber nicht geklungen. Mit wenigen Schritten erreichen wir den zweiten Zaun und passieren ihn unbehelligt.
Nachdem wir die Weide überquert haben wird der Weg immer schmaler und schlechter. Brennesseln wuchern neben dem Pfad und endlich stehen wir vor einem in der Sonne leuchtenden Kornfeld. Weiter geht es nicht.
„Das einfachste wäre umzukehren.“ Ich bin mir dessen sicher, aber Ima sagt:.
„Lass uns nicht umkehren. Lass uns das Abenteuer bestehen!“ Damit kriegt diese Wanderung plötzlich eine neue Bedeutung. Auch wenn es keiner von uns ausspricht, wir denken beide: Wenn wir das schaffen, schaffen wir auch den Rest!
Am Rande des Kornfeldes stapfen wir in Richtung Brücke und Guldborg. Mannshohe Pflanzen links und rechts. Wir stolpern auf dem unebenen Untergrund weiter. Querfeldein. Klettern eine Böschung hinunter und stehen auf einem Steinstrand, von dem aus man das Dorf sehen kann. Leider endet der Strand im Schilf. (Schilf wollen wir aus Naturschutzgründen nicht durchqueren) Und zum Land hin wuchert undurchdringliches Unterholz voller Dornen. Nun ich wate erst einmal durch das Wasser auf der Suche nach Muscheln. Fehlanzeige. Danach suchen wir eine Möglichkeit die Böschung und das Dickicht zu überwinden. Nach halbstündiger Suche entdecken wir doch noch einen Pfad, der das Unterholz durchquert. Allerdings müssen wir durch mannshohe Brennesseln. So erreichen wir das sumpfige Ufer eines kleinen Sees. Stapfen barfuß durch den Sumpf bis wir vor einem tiefen Entwässerungsgraben stehen.
Ima sagt:
„Oh Mann. Vielleicht hattest du doch recht.“ Wir sind jetzt gut zwei Stunden querfeldein unterwegs für eine Strecke, die man auch in einer halben Stunde bewältigen könnte.
„Nie und nimmer! Wir kehren nicht um!“ Stattdessen folgen wir dem Graben, bis zu einem schmalen morschen Steg. Eigentlich ein besseres Brett.
„Ich gehe zuerst.“ Das ganze Gebilde wackelt zwar bedenklich, aber hält mich. Ima folgt noch bevor ich ganz drüben bin. Es hält auch uns beide. Wir überqueren eine blühende Wiese und erreichen ein paar Häuser samt einem asphaltierten Weg. Wenig später führt unser Weg aus dem Wald heraus direkt zur Brücke von Guldborg.
Beim Hafen gibt es kein Restaurant, aber einen Imbiss. Wir haben inzwischen beide richtig Hunger und setzen uns draußen an einen der Tische. Die Fritten sind köstlich, dazu selbstgemachte Mayonaise und einen dicken Burger. Nicht, dass wir die Fastfood-Könige wären, aber alleine, dass wir jetzt hier gemeinsam sitzen, ist doch ein Grund zum Feiern. Und das spüren wir beide.
Im Supermarkt gibt es alles mögliche, aber keine Thermoskanne. So schlendern wir gemütlich zurück und brauchen diesmal (den Wegen folgend) keine halbe Stunde, bis wir wieder vor Echna stehen.
Nach der kurzen Ruderpartie klettern wir an Bord. Ich spanne das Sonnendach auf und wir verleben einen ruhigen Tag vor Anker. Schweigen viel, aber es ist ein gutes Schweigen. Ein heilendes Schweigen. Gelegentlich sagt jemand etwas, wir streifen auch unseren Streit, aber ohne jede Hast, fast beiläufig und ohne endlose Monologe, eher skizzenhaft. Und jeder spricht von sich und seinen Gefühlen anstatt von den Fehlern des anderen!
Abends kochen wir gemeinsam. Ganz langsam und noch verletzlich, bildet sich wieder ein zartes „Wir“.
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Dieser Blog Eintrag spielt am 5.8.15
Klasse…:-)
…das ist wiedermal meisterlich!
Eine Deiner besten Geschichten!
Toll! Punkt!
Lieben Gruß
Carsten
Habe jetzt schon einige deiner Beiträge gelsen. Echt gute Geschichten! Vielen Dank für die Unterhaltung
Danke für Eure Kommentare.
War einer der schwersten Momente unserer Beziehung. Irgendwie schön, wenn sich so etwas Ätzendes am Ende doch in etwas Schönes verwandeln kann. Tröstlich!
Liebe Grüße
Klaus
Hallo Klaus,
nach den,für mich bedrückenden Schilderungen, nun doch ein versöhnlicher Fortgang. Habe mich leider hier und da wiedergefunden. Aber es hat auch bei uns immer ein versöhnliches Ende genommem. Bin gespannt, wie es weitergeht. Wir haben für diess Frühjahr auch den Gouldborgsound ins Auge gefasst, nachdem mein Navigator für Bornholm nicht genug Urlaub am Stück bekam. Wir warten auf das Frühjahr
Oh Jens, wir warten auch auf das Frühjahr. Ich schaue gerade durch das Fenster und es schneit…
Aber ich glaube, es wird jetzt irre schnell gehen und ich habe ja bis dahin noch ein Buch fertig zu schreiben…
Ich wünsche Euch jedenfalls viel Spaß und Harmonie auf dem Törn.
Liebe Grüße
Klaus
Toll, war schon gespannt, wie es weiter geht, bin ich jetzt natürlich auch.
Perfekt, die Mischung aus Segelei und persönlichen Eindrücken.
Hut ab, wie tief Ima und du euch in die Privatsphäre blicken lasst!!!
Übrigens: Bei Aldi gibt’s derzeit Thermoskannen
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Viele Grüße
Volker
Wir sind in Dänemark nicht mehr zu einer neuen Thermoskanne gekommen. Erst in Kiel. Aber jetzt haben wir eine
Aber danke für den Tipp!
Privatshpäre und Bloggen ist immer eine Gratwanderung. Aber wenn man das Negative vorher weggelassen hätte: Welcher Leser hätte die Bedeutung dieser Wanderung für uns verstehen können?
Mir ist Authentizität wichtig und wie ich Eurem Feedback entnehmen kann, wisst ihr das auch zu schätzen. Ich finde es nicht schlimm selbst mal schlecht da zu stehen. Jeder macht Fehler. Ich glaube, man muss sich mit Fehlern auseinandersetzen, sonst kann man nichts aus ihnen lernen. Und das darüber schreiben ist für mich auch eine Art zweiter Auseinandersetzung.
Auch wenn ich Ima manchmal zickig finde: Sie hat einen anderen Blick darauf. Sie sieht sich eher als Kriegerin: Eine Frau, die sich nichts gefallen lässt. Die immer sagt, was sie denkt. Ohne falsche Rücksichten zu nehmen. Ob das immer falsche sind, sei mal dahin gestellt, aber ein Stück weit stimmt das schon:
Ich bin dagegen (zu) oft auf Harmonie bedacht. Es dauert bis mir der Kragen platzt und manchmal dauert es einfach zu lange. Bin immer bereit zu vergeben und vergessen, aber manchmal, und das ist die Kehrseite der Medaille, verrate ich mich selbst dabei. Wäre gut, wenn ich etwas mehr von Ima hätte und sie etwas mehr von mir…
Das Tolle am Preisgeben dieser sehr privaten Momente ist allerdings: Ich habe vorher immer gedacht, wir wären die einzigen, denen das so geht. Nach den vielen Reaktionen (auch per Mail und Telefon) habe ich inzwischen das Gefühl, dass das fast jeder kennt…
Das ist tröstlich und auch ermutigend, denn es sagt mir, dass es sich lohnt, für unsere Beziehung zu kämpfen, auch wenn wir da manchmal durch tiefe Täler wandern. Aber vielleicht ist das das größte und wertvollste Abenteuer von allen!
Liebe Grüße
Klaus