Für Nachmittag ist Starkwind angesagt und wir müssen gegenan. Also heißt unsere Devise: Früh los! Ohne Frühstück.
Es weht schon ganz ordentlich, als Néfertiti durch die Hafenausfahrt schlüpft. In der Nacht hat sich Seegang aufgebaut und Néfertiti arbeitet in der kurzen steilen Welle. Wir segeln unter Vollzeug. Bis zur Untiefentonne bei Pøls-Rev müssen wir kreuzen. Der erste Schlag geht weit hinaus, denn der Wind weht eher aus Süd. Wenn er wie angekündigt auf Südost dreht, stehen wir besser weiter östlich.
„Hunger?“
„Ja.“ Während David an der Pinne gegen Wind und Strom ankämpft, bereite ich für jeden von uns ein Müsli. Néfertiti bockt und ich muss mich verkeilen, um die Früchte zu zerkleinern und Müsli, Früchte und Saft sicher in die Schälchen zu bringen. Nicht der gemütlichste Kurs. Der Strom setzt stärker als gedacht und Néfertiti gewinnt nur quälend langsam Luv. David wirkte die letzten Tage so munter, aber heute?
„Alles klar bei dir?“
„Ja.“ Ein bisschen einsilbig… Ich glaube, David geht es nicht wirklich gut. Habe ja selbst so oft mit der Seekrankheit gerungen, dass mir die ersten Anzeichen nicht verborgen bleiben. Gut, dass er an der Pinne sitzt.
Nach einer Weile sagt David:
„Ich hätte nichts essen sollen. Willst du steuern?“
„Ist dir nicht gut?“
„Nee.“
„Steuern hilft.“
„Mach du mal lieber.“ Ich übernehme das Ruder. Kurz darauf beugt sich David über die Reling. Mommark ist nach einer Stunde segeln immer noch in Sicht, und die Untiefentonne hinter der wir abfallen könnten, liegt noch weit, weit und unsichtbar in Luv.
„Wir könnten umdrehen!“
David schüttelt den Kopf:
„Mir geht es schon wieder besser.“ Wir sind weit nach ESE gelaufen (über Grund) und wenden jetzt auf die unsichtbare Untiefentonne zu. Strom und Abdrift versetzen uns stark. David sitzt mit geschlossenen Augen im Cockpit. Ich gehe im Geiste unsere Optionen durch. Wir sollten Schleimünde heute streichen und entweder zurück oder nach Gelting. Morgen sind drei bis vier Windstärken aus West angesagt. Da könnten wir gleich durch segeln bis Kiel. David öffnet die Augen. Aber er wirkt nicht wirklich anwesend… Néfertiti setzt in eine Welle ein. Gischt fliegt bis zu uns ins Cockpit. Obwohl er sich wegducken könnte, verharrt David unbeweglich und kriegt die volle Ladung ins Gesicht. Kein gutes Zeichen. Er verzieht nicht einmal eine Miene. Fast apathisch.
„Wir sollten umdrehen.“ Aber so schnell gibt David nicht klein bei:
„Nein, bitte nicht!“
„Wir könnten auch nach Gelting.“
David schüttelt den Kopf. Man erkennt Menschen in Momenten der Krise. Nicht bei schönem Wetter. Während der Seekrankheit gewinnt (nein: verdient sich) David meinen allerhöchsten Respekt.
Mittlerweile habe ich die Tonne ausgemacht. Aber die Stromversetzung ist so stark, dass noch einige Wenden gefahren werden müssten, bevor wir sie erreichen werden. Eine Bö fällt ein. Heftiger als die anderen. Néfertiti macht gleichzeitig einen Satz und fällt ins Wellental. Gischt spritzt. Es gibt einen lauten Schlag. Das Vorliek der Genua ist aus der Führung der alten Rollreffanlage gerissen. Über die ganze Vorliekslänge. Dabei hatten wir extra den breitesten heute gängigen Keeder eingesetzt. Die Genua hängt jetzt nur noch an Kopf und Hals. So lässt sich bei dem Wind keine Höhe mehr laufen. Das Wiedereinführen ist heikel, wenn man es alleine macht. Hier bei dem Seegang würde ich das gerne vermeiden. Damit ist uns die Entscheidung abgenommen:
„Wir segeln nach Gelting.“
„Mmmmh.“ Ich nehme das Brummen als Bestätigung. David liegt mehr auf der Cockpitbank, als dass er sitzt, und hält die Augen meist geschlossen. Um die Tonne anzuliegen, werfe ich den Motor an. So kreuzen wir dänisch auf die Tonne zu. Aber es ist auch nicht mehr weit, bis wir abfallen können. (Für Nichtsegler: Wenn die Genua nicht am Vorstag geführt wird, sondern nur an Kopf und Hals befestigt ist, kann man das Vorliek spätestens ab 5 Windstärken nicht mehr stramm durchsetzen. Das führt dazu, dass das Boot deutlich weniger Höhe läuft. Damit war für uns der Anlieger nach Schleimünde gestorben.)
Inzwischen herrscht reger Segelverkehr. Die meisten donnern trotz des Seegangs einfach über die Untiefe, die teilweise nur 1,40 m Tiefe hat und auch im tiefsten Teil nur 3,90 m. Nicht nur einer kürzt ab, sondern Dutzende. Laufen über das Riff. Bei dem Seegang! Mit GPS trauen sie sich in die Rinne. Allerdings sind sie so weit gestaffelt, dass nicht jeder die schmale Rinne getroffen haben kann. Es havariert keiner… Glaube ich wenigstens. Aber dieses Risiko würde ich nie eingehen. Einer hat sogar noch seine Segelpersennings auf Großbaum und um die Rollfock. Wenn jetzt die Maschine ausfällt…
Schließlich erreichen wir die Tonne. Na gut, auch wir schnibbeln auf der falschen Seite, aber das Echolot gibt grünes Licht. Abfallen. Sofort werden die Bewegungen angenehmer. Ich stelle die Maschine aus. Auf dem neuen Kurs wachsen Néfertiti Flügel. Schönstes Segeln immer über fünf Knoten. Néfertiti rauscht an der Südküste Als entlang. Das verfehlt auch nicht seine Wirkung auf David. Langsam aber sicher kommt er auf die Beine. Sein Gesicht kriegt wieder Farbe. Mit jeder Meile scheint es ihm besser zu gehen. Kegnäs zieht vorbei und bald steht Néfertiti nördlich des Leuchtturms Kalkgrund. Wir luven an und segeln in die Geltinger Bucht hinein. Seegang gibt es hier keinen mehr. Mittlerweile ist David wieder ganz der Alte. Auch sein munteres Wesen hat er zurück gewonnen.
Wir ankern erst einmal. Bergen die Segel und klarieren die Genua: Bergen sie wie ein normales Stagreitervorsegel und führen dann das Vorliek der Genua wieder in die Nut der Rollreffanlage ein. Das geht bei dem starken Wind vor Anker besser, als an einem Liegeplatz im Hafen. Danach gehen wir ankerauf und laufen unter Maschine des letzte Stückchen nach Gelting Mole. David bereitet Festmacher und Fender vor, während ich Néfertiti langsam durch das Hafenbecken steuere, auf der Suche nach einem freien Liegeplatz… Da ist einer.
„Grün oder rot?“
„Grün.“ Aber da ist noch etwas anderes. Im Hafenbecken schwimmt ein alter Fender. Also brechen wir das Anlegemanöver ab, fahren erst einmal ein Mann über Bord Manöver auf engstem Raum und fischen den Fender. Dann fahren wir ein zweites Anlegemanöver. Hängen den Fender so an den Bugkorb, dass der Besitzer ihn sehen muss, wenn er danach sucht. Wir machen einen Spaziergang, melden uns beim Hafenmeister. Essen zur Feier des Tages eine Kleinigkeit im Hafenrestaurant. Genau genommen werde ich eingeladen… Danke David.
„Wenn du willst, kannst du morgen den Navigator machen. Mit Vorbereitung und allem Drum und Dran.“
„Oh ja. Gerne.“ Damit ist es abgemacht.
Eine Frage beschäftigt uns noch: Ob Wilfried Erdmann hier mit seiner Kathena Nui liegt? Wir sehen ihn nicht. Auch sein Schiff nicht.
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Dieser Blog Eintrag spielt am 25.9.
Habe bei diesem unseglerischen Wetter den Törn genossen am Küchentisch im Binnenland! Fiete
Hallo Fiete, das freut mich sehr.
Hast Du zufällig etwas mit Susanne Schnabel zu tun?
Wie auch immer: Hoffentlich wird das bald wieder ein seglerisches Wetter
Liebe Grüße
Klaus
Die Einladung zum Essen war ja das mindeste was ich tun konnte, wenn ich schon nicht mit anpacken konnte
Ach David, du hast soviel mit angepackt auf dem ganzen Törn … und auch an dem Tag. Da bedurfte es keiner Wiedergutmachung
Alles Liebe
Klaus