Die Ostsee verabschiedet uns sommerlich. Mit einem zart bewölkten Himmel und einer heiß herab scheinenden Sonne. Néfertiti läuft unter Maschine. Die einzige Welle weit und breit ist unsere Bugwelle. Nicht einmal eine leise Brise kräuselt die Wasseroberfläche. David versieht die Navigationsarbeit mittlerweile mit einer gewissen… ich möchte fast sagen: Routine, obwohl es dafür eigentlich etwas früh ist. Überhaupt sind wir in sehr kurzer Zeit ein eingespieltes Team geworden.
Wir erreichen die Kieler Förde ohne außergewöhnliche Vorkommnisse. Motorfahrt. Wollen Diesel bunkern. Wir steuern Laboe an. Allerdings müssen wir uns beeilen. Die machen früh zu. Vor der Einfahrt begegnen uns Kanuten. Ich stelle die Frage, bzw. die zwei Fragen, die ich am Häufigsten in den letzten Tagen gestellt habe.
„Wer ist ausweichpflichtig?“
„Die Paddler.“ Und die wichtigere zweite Frage:
„Warum?“
„Segel vor Motor vor Muskel.“
Der Diesel ist hier in Laboe deutlich günstiger als bei unserer Ausfahrt. Wir verholen das Boot an die Pier und gehen in den Ort, um eine Kleinigkeit zu essen, das U-Boot zu besichtigen und ein paar Sachen einzukaufen. Während wir unterwegs sind, entdecken Carsten und seine Frau zufällig Néfertiti im Hafen. Als wir endlich zurück kehren, sind sie schon weiter gezogen. Schade. Hätte Euch gerne getroffen. Zurück an Bord fackeln wir nicht lange und legen ab. Laufen das letzte Stück zum Plüschowhafen unter Motor.
Bye, bye Ostsee.
Am nächsten Tag pfeift der Wind im Rigg und der Sommer hat sich verabschiedet. Wir gehen früh durch die Schleuse und Néfertiti kämpft sich gegen einen böigen Starkwind durch den Kanal. Irgendwann schwimmt uns eine Ente in den Weg. Die Peilung steht und scherzeshalber frage ich David:
„Wer muss ausweichen?“
Wie aus der Pistole geschossen antwortet er:
„Die Ente natürlich!“ Jetzt bin ich perplex:
„Und … warum?!“
„Ist doch klar: Segel vor Motor vor Muskel!“ Wir müssen beide lachen. Die Ente kennt die Ausweichregeln übrigens auch. Einen Moment später dreht sie ab und gewährt uns die Vorfahrt…
Kurz vor der Gieselauschleuse macht uns der Adler seine Aufwartung. Diesmal habe ich die Kamera startbereit und schieße einen Haufen Fotos von Wanten und Stagen mit einem braunen Fleck dahinter…
Wir erreichen die Gieselauschleuse. Die Bäume schirmen den Liegeplatz so gut ab, dass ich David anbiete das Anlegemanöver zu fahren, aber er scheut zurück.
„Sind ideale Bedingungen.“
„Nee, lass mal.“
Nachdem das Boot versorgt ist, machen wir einen kleinen Spaziergang. David sagt plötzlich:
„Ich hätte das doch machen sollen.“
„Was?“
„Das Anlegemanöver!“
„Nächstes Mal.“
Abends gibt der Wetterbericht eine Sturmwarnung für die Deutsche Bucht. David hat zu Hause einiges zu tun. Wenn wir sowieso nur im Hafen liegen… Er beschließt, falls er mittags den Bus kriegen sollte, nach Hause zu fahren. Also sieht uns der Nordostseekanal am nächsten Morgen früh unterwegs. Erstes Büchsenlicht. Der Wetterbericht hat sich weiter verschlechtert. Aus den angekündigten acht Windstärken sind schon neun geworden. Kein Wetter für die Elbmündung. Kein Wetter für den letzten schönen Segeltag. Sogar mein Vater schickt mir im Laufe des Tages eine SMS: „Wo steckst du? In der Nordsee sind 9 Windstärken angesagt…“ Er weiß, dass ich eigentlich über die Nordsee zurück kehren wollte. Ich schicke ihm eine Entwarnung. Selbst meine Chefin schickt mir eine SMS, dass ich noch einen Puffer habe, lieber vorsichtig sein solle.
So werde ich noch ein, zwei Tage, je nach Wetterentwicklung, in Brunsbüttel bleiben. Das passt mir auch gut in den Kram, denn (habe ich es schon geschrieben?): Ich will nicht zurück! Alles in mir sträubt sich gegen die letzten Meilen. Ich könnte auch den Bug nach Westen richten… Aber ich habe mein Wort gegeben.
Tatsächlich sind wir rechtzeitig für den Bus in Brunsbüttel. David hat auf den letzten Meilen seine Sachen gepackt und jetzt ziehen wir gemeinsam durch das Städtchen. Sind sogar eine halbe Stunde zu früh an der Bushaltestelle. Der Abschied ist herzlich. Der Bus kommt, David steigt ein. Ein letztes Winken. Plötzlich bin ich wieder allein. Liebeskummerhilfe habe ich nicht wirklich gegeben.
Ich schlendere durch die Stadt. Es fängt an zu regnen und ich flüchte in ein kleines Café. Beobachte die Menschen. Eine junge Frau mit Geigenkoffer auf dem Rücken geht stoisch durch den Regen. Ein Mann eilt in die Bäckerei. Bleibt an der Tür stehen, ohne etwas zu kaufen. Die Bäckersfrau nimmt es kommentarlos zur Kenntnis. Sie alle sind in ihrem Hamsterrad und bald werde ich auch wieder darin stecken. Ich will nicht!
Auch am nächsten Tag kreischt der Wind im Masttop in den höchsten Tönen. Ich bleibe noch einen Tag in Brunsbüttel. Ein ausgewachsener Sturm zieht über die Nordsee und ich bin dankbar dafür. Setze mich in ein Café und schreibe Tagebuch. Empfinde den Tag als ein Geschenk. Trotz des andauernden Regens und Sturmes.
Flätze mich später auf die Koje und genieße es einfach nur an Bord zu sein. Im Schein der Kerzen und Teelichter.
♦♦♦
Dieser Artikel des Segelblogs spielt vom 27.9. bis zum 30.9.
Hallo Klaus,
der Bericht hat mir bei diesem verhangenen Sonntag mit Schneeregen ein paar träumerische Momente beschert, herzlichen Dank!
Hast da ein interessantes Thema aufgegriffen: Ausweichregeln. „Segel vor Motor vor Muskel“. Kannte ich bisher nicht. Hab gleich mal die KVR nachgeschlagen, Regel 18, Verantwortlichkeit der Fahrzeuge untereinander. Klar ist, Segel vor Motor und beide Arten weichen manövrierbehinderten bzw. manövrierunfähigen Fahrzeugen aus. Muskelbetriebene Fahrzeuge kommen in der KVR nicht vor, oder ich habe dazu nichts gefunden. Alleine vom möglichen Geschwindigkeitspotenzial her ist es doch – sagen wir mal für ein Seekajak – schwer einer relativ deutlich schnelleren Motor- oder auch Segelyacht auszuweichen. Hast Du zu Deiner Auslegung nähere Hintergrundinformationen? Würde mich sehr interessieren.
Herzliche Grüße – Christian
Lieber Christian,
Das sind diese Merkregeln, die man seit Jahren mit sich herumschleppt, ohne sie zu hinterfragen.
Du hast Recht: in der KVR steht nichts dazu. Ich bin kein Jurist, aber wenn in den Regeln nicht explizit gesagt wird, dass man als Ruderboot Vorfahrt hat, hat man möglicherweise keine.
Ich habe einen Passus im SBF See-Lehrbuch über Windsurfer, Jetski und Kitesurfer gefunden. Abgesehen davon, dass die nicht überall fahren dürfen, müssen diese ausdrücklich allen anderen Fahrzeugen ausweichen…
Im Binnenbereich (Führerschein A Buch) habe ich einen Passus gefunden, der besagt, dass Segelboote Vorrecht vor Ruderbooten haben. Und Ruderboote vor Motorbooten. Allerdings wird der Segler ausrücklich darauf hingewiesen, dass er damit rechnen müsse, dass der Paddler die Regeln nicht kennt und entsprechend zu manövrieren habe…
In der Praxis manövrieren wir auf Néfertiti immer so defensiv, dass wir selten in haarige Situationen kommen.
Aber vielleicht gibt es untern den Lesern jemanden der Genaueres weiß. Gegebenenfalls würde ich die Stelle oben umformulieren. Will ja nicht, dass sich jemandem etwas Falsches einprägt.
Liebe Grüße
Klaus
So. Da mir das keine Ruhe ließ, habe ich noch einmal bei der Wasserschutzpolizei angerufen. Tatsächlich wusste es auch die dort versammelte Runde nicht sicher. Sie waren sicher, dass der Ruderer dem Segelboot ausweichen muss, aber beim Motorboot wussten sie auch nicht weiter, vermuteten aber, dass dem gesunden Menschenverstand nach das Motorboot ausweichen sollte…
Also nichts genaues weiß man nicht. Ich werde mich noch etwas weiter umhören. Will ja nicht, dass sich hier Falsches einprägt!
Mensch Klaus, das ist ja klasse, was Du da jetzt alles angeleiert hast
Vielen lieben Dank! Und dass selbst die Kollegen der WaschPo das nicht sicher wissen ..
Ich habe auch ein bisschen in den Foren gestöbert, da herrscht zu diesem Thema solides Nichtwissen vor
immerhin zeigt das, diese Frage beschäftigt doch den einen oder anderen.
Ich würde hier dem gesunden Menschenverstand der versammelten WaschPo-Runde auch folgen, also Segler vor Mucki vor Maschine oder alternativ Segler vor Maschine/Mucki formal von der Bootsklasifikation gleichberechtigt, also Mucki und Motorboot weichen aus wie 2 Boote unter Maschine. Mit der Kajak- und sonstigen Ruderbootfraktion bin ich von Hause aus nach Möglichkeit und Erkennen noch vorausschauender als eh schon und sehr „fürsorglich“ unterwegs. Immerhin werfen wir Sportis ja manchmal eine ganz nette Welle und daher mache ich sowieso einen großen Bogen um die Kollegen der rudernden Fraktion oder nehme mindestens deutlich Fahrt raus. Eigentlich relevant wird das Thema tatsächlich wie von Dir beschrieben bei Hafenein-/Ausfahrten, in Mündungen etc. Seekajakfahrer begegnen einem aber auch schon mal ein paar Meilen vor der Küste. Da ist eher die Frage des rechtzeitigen Erkennens gegeben, also wie immer: Augen auf im Verkehr
und im Zweifel davon ausgehen, dass die Ruderer keine Ahnung von irgendwelchen Ausweichregeln haben. Analog der unter 15 PS-Fraktion 
Viele liebe Grüße
Christian
Hallo Klaus,
bei uns gilt Folgendes:
Die Ausweichregeln auf Schweizer Gewässern
Beim Begegnen und Überholen weichen die Schiffe wie folgt einander aus:
Den Vorrangschiffen, gekennzeichnet durch einen grünen Ball / günes Rundumlicht, alle anderen Schiffe.
Den Güterschiffen alle Schiffe, ausgenommen Vorrangschiffe.
Den Schiffen der Berufsfischer alle Schiffe, ausgenommen Vorrangschiffe und Güterschiffe.
Den Segelschiffen alle Schiffe, ausgenommen Vorrangschiffe, Güterschiffe und Schiffe der Berufsfischer.
Den Ruderbooten alle Schiffe mit Maschinenantrieb, ausgenommen Vorrangschiffe, Güterschiffe und Schiffe der Berufsfischer.
Segelbretter und Drachensegelbretter allen anderen Schiffen.
Liebe Grüsse
René
Hallo René,
Drachensegelbretter?
Ja, die Binnenregelung scheint diesbezüglich auch bei uns klar zu sein. Habe die letzten Tage immer mal wieder auf Skype nach Euch Ausschau gehalten, aber …
Liebe Grüße auch an Marlies
Klaus
Hallo Klaus,
war schon aufregend Euer Boot in Laboe unverhofft an der Mole zu treffen. War wirklich aus dem Häuschen, was Frau erst gar nicht verstanden hat.
Komme gerade von der Boote Düsseldorf, hätte gern den Vortrag von Sebastian Janotta gehört. Er lebt ja Deinen Traum. Leider war Sebastian krank.
Gruß Carsten
So ähnlich ging es mir, als ich in La Rochelle ganz unverhofft im Hafen die „Joshua“ von Bernard Moitessier fand. Der Kumpel mit dem ich unterwegs war, konnte die Aufregung überhaupt nicht verstehen…
Ja, Sebastian ist schwer in Ordnung. Wir kennen uns schon eine Weile und letzten Sommer habe ich ihn in Cuxhaven an Bord von Bea Orca besucht. Er hat uns ein paar wertvolle Tipps für unberührte Wattgebiete gegeben und sogar ein paar Seekarten geschenkt…
Liebe Grüße
Klaus
Also mein Chef meinte: „Es kommt natürlich darauf an wo du dich befindest aber prinzipiell stimmt das.“
Aber gleichzeitig hat er betont das eine umsichtige Fahrweise noch nie jemandem geschadet hat. Also sind wir so klug wie vorher
Hi David,
entschuldige, da muss ich doch noch einmal nachfragen:
Was stimmt im Prinzip schon (auf Seeschifffahrtsstraßen)?
Segel vor Motor vor Muskel?
Oder Segel vor Muskel vor Motor? Binnen gilt Letzteres, das wissen wir ja inzwischen relativ sicher…
Liebe Grüße
Klaus
(Zum Verständnis für alle anderen: Davids Chef ist Ausbilder und Chef einer Segelschule…)