Nordsee. 5 – 6 Windstärken aus West. Néfertiti fällt in ein Wellental. Gischt spritzt auf und wird weggeweht. Wir segeln hoch am Wind. Mit Motorunterstützung, denn wir müssen pünktlich zu Hochwasser am Seegatt sein. Wir kämpfen uns Richtung Wangerooge. Néfertiti boxt sich durch die nächste Welle, torkelt in der chaotischen See. Die Gischt spritzt bis zu mir ins Cockpit. Ich ducke mich weg. Wo kommt dieser Seegang plötzlich her? Eben war das doch noch viel handiger. Mein Blick wandert zum Echolot. Nur noch sieben Meter. Das kann nur eines heißen: Der Strom hat uns auf die Nordergründe versetzt.
Eigentlich sollte das heute unser Wetterfenster für den großen Schlag über die Nordsee sein. Für die nächsten Tage ist Starkwind angesagt. Einmal ins Watt geschlüpft wären wir bei jedem Wetter sicher. Deshalb sind wir gestern in einem Tag (mit zwei Tiden) von Hamburg nach Cuxhaven gesegelt und dort nach wenigen Stunden Schlaf wieder aufgebrochen. Vier Windstärken waren angesagt. Südwest bis West. Der Seegang ist konfus. Néfertitis Bug wandert auf eine steile Welle, hebt sich weit aus dem Wasser und fällt dann zurück. Gischt spritzt weit zur Seite. Wir machen kaum Fahrt über Grund. Das Hauptwellensystem hat eine nördliche Komponente. Es ist also davon auszugehen, dass der Wind früher oder später auf WNW oder sogar NW drehen wird. Wenigstens scheint die Sonne, die uns beiden ein Halb-so-schlimm-Gefühl einflüstert.
Salzwasser läuft mir durch das Gesicht. Ima sitzt unten auf ihrer Koje und liest gemütlich in einem Buch. Ich beuge mich zum Niedergang hinunter. Ima blickt von ihrem Buch auf:
„Was ist denn hier plötzlich los?“
„Der Strom hat uns auf die Nordergründe versetzt.“ Imas Blick bekommt diesen gewissen Ausdruck. Sie weiß wie gefährlich die Untiefen in diesem Seegebiet sind.
„Nein. Keine Sorge. Es ist noch tief genug. Über 7 Meter. Aber wenn das hier schon so zur Sache geht, ist das Seegatt Wangerooges wahrscheinlich unpassierbar. Und wenn der Wind nur noch ein paar Grad nach Norden dreht, ganz bestimmt!“ Dazu kommt, dass die Barre der Alten Harle laut Wattenschipper.de nur noch 60 cm Wasser (bei Niedrigwasser) haben soll. Das heißt: dort wird es selbst bei Hochwasser halb so flach sein wie jetzt hier …
„Was willst du tun?“
„Wir sollten nach Helgoland ablaufen.“ Die Jade wäre eine Alternative. Wir haben sogar Karten. Aber Helgoland fühlt sich irgendwie besser an. Ima sagt:
„Fände ich gut, aber dann werden wir die nächsten Tage eingeweht sein!“
„Ja.“
Ich bin noch nicht so richtig auf See angekommen: Habe dem Wetterbericht vertraut und die Navigation für Eventualitäten nur oberflächlich vorbereitet. Die Arbeit muss ich jetzt im wilden Geschaukel nachholen. Also stoppe ich die Maschine und drehe bei. Steige den Niedergang hinunter, um die Distanzen abzustecken. Als ich fertig bin wende ich mich Ima zu, die mich erwartungsvoll anschaut.
„Wären noch knapp 15 Meilen, aber fast halber Wind.“ Nachdem ich auch noch ein Stromdreieck gezeichnet habe ist klar, dass halber Wind etwas schön geredet ist. Aber allemal besser als in einer Grundsee auf der Barre sein Leben zu riskieren. Also auf nach Helgoland!
Durch das Beiliegen sind wir schon auf dem richtigen Bug. Ich brauche nur die gereffte Genua überzuholen und das ebenfalls gereffte Groß etwas zu fieren. Schon nimmt Néfertiti Fahrt auf. Wir merken sofort, dass das Segeln jetzt angenehmer ist. Kein wildes Durchboxen mehr sondern eher ein elegantes Über-die-Wellen-hinweg-gleiten. Auch wenn die See hier konfus ist: Das eigentliche Wellensystem kommt aus WNW. Der neue Kurs streckt die Wellen für uns. Kaum sind wir wieder im Tiefen, beruhigt sich der Seegang deutlich. Ohnehin sind die Wellen auf der Nordsee länger als man sie bei gleichen Verhältnissen auf der Ostsee erwarten würde. Zumindest solange der Strom mitläuft, was er momentan tut. Ich reffe die Genua ganz aus.
Wir segeln mit hoher Fahrt auf Helgoland zu. Noch ist der rote Felsen im Dunst versteckt. Der Ritt über diese Wellen macht Spaß. Wie auf der Jolle segele ich jede einzelne Welle aus. Anluven, wenn Néfertiti bergan klettert und langsamer wird. Auf dem Wellenkamm nimmt Néfertiti Fahrt auf und ich falle wieder ab. Gelegentlich kommt unsere alte Lady bergab sogar ins Surfen!
„Wow!“ Immer wieder sind die Wellenkämme so hoch, dass sie den Horizont verdecken, wenn Néfertiti im Wellental verschwindet. Ima streckt ihren Kopf zum Niedergang hinaus.
„Ich habe frischen Tee gemacht. Willst du welchen?“
„Gerne.“ Ima reicht mir meine dampfende Muck heraus und setzt sich zu mir ins Cockpit. Ich nehme einen vorsichtigen Schluck und habe plötzlich dieses überbordende Glücksgefühl. Jetzt bin ich im Unterwegssein angekommen. Ima guckt mich lächelnd an und nippt an ihrem eigenen Tee:
„Geht es dir gut?“
„Ja. Total! Guck mal die Wellen. Ist das nicht schön? Die da wird gleich den ganzen Horizont verdecken.“ Eine gewaltige Woge wandert auf uns zu. Eine Bö fällt ein und bläst den Schaum vom Kamm. Schon wird die Welt immer kleiner, verschwindet hinter dem Wellenberg. Jetzt beginnt Néfertiti den Hang schräg zu erklimmen, wird langsamer, steigt höher. Der Horizont ist wieder in Sicht, bevor wir den Gipfel erreichen. Ima lächelt mir zu.
„Ja. Das ist wirklich schön.“ Und das trotz ihres gespaltenen Verhältnisses zu hohen Wellen! Nach einer Weile verschwindet sie aber doch wieder nach unten. Sie macht sich in der Pantry zu schaffen und reicht mir kurz darauf unaufgefordert ein Sandwich heraus.
„Danke.“
„Muss dich doch auch ein bisschen verwöhnen.“ Dabei zwinkert sie mir zu. Auja!
Am Horizont kann ich im Dunst einen Schemen ausmachen. Könnte das Helgoland sein oder narrt mich nur wieder so ein Containerriese? Wir halten etwa zehn Grad vor, um die Strömung auszugleichen. Ich habe kein neues Stromdreieck gezeichnet. Wir können nicht an Helgoland vorbei segeln. Wenn es erst in Sicht ist, werde ich eh den Kurs fein justieren.
Eine halbe Stunde später ist klar, dass der dunkle Fleck kein Containerschiff war. Inzwischen meine ich sogar die Lange Anna ausmachen zu können. Aber wir sind noch weit weg. Wie damals vor Borkum. Man sieht Helgoland einfach extrem weit. Der Vorhalt reicht nicht aus und letztlich laufen wir doch in einer Hundekurve immer spitzer zum Wind.
Irgendwann schält sich Ima aus ihrer Koje und wendet sich mir zu:
„Ist es noch weit?“ Ich zeige hinter sie:
„Sieh selbst!“ Sie steigt den Niedergang herauf und setzt sich zu mir ins Cockpit. Es sind keine 5 Meilen mehr.
„Willst du steuern? Macht echt Spaß.“
„Nee, mach du mal lieber.“
Helgoland lässt sich bei jedem Wetter anlaufen. Bei heftigen südlichen Winden würde ich möglicherweise durch die nördlich Zufahrt segeln. Der Hafen selbst ist wunderbar geschützt. Im großen Vorhafen nehme ich die Segel herunter und tuche das Groß auf, während Ima die Maschine startet und uns langsam in den Inneren Hafen fährt. Ich bringe Fender und Leinen aus. Am großen Besuchersteg liegen die Yachten so weit auseinander, dass selbst für unser kleines Boot kein Platz am Steg bleibt, obwohl rechnerisch genug Platz wäre. Aber ich möchte sowieso lieber so dicht wie möglich an die luvwärtige Pier. Schließlich soll es morgen stürmen. Also fahren wir weiter, um zu sehen, ob hinter der Arbeitsschute am mittleren Steg noch Platz für uns ist. Auch hier sind die Plätze direkt am Steg schon alle belegt, aber auf der Sextett machen sich ein Mann und eine Frau bereit unsere Leinen anzunehmen. Sie klettern auf die Gecko, einen stählernen Seekreuzer, der auf ihnen im Päckchen liegt und Fender außenbords hängen hat, was neue Boote willkommen heißt. Sie liegen direkt vor der Schute. Das bedeutet für uns eine 90° Grad Kurve. Langkieler sind nicht wendig? Das habe ich früher auch gedacht. Mit Hilfe des Verstellpropellers kann ich Néfertiti mit kurzen Gasschüben aber inzwischen vorwärts um ihren Bug drehen. Sogar gegen den Schraubeneffekt. Wegen des böigen dwars einkommenden Windes nehme ich einen Sicherheitsabstand von etwa 2 Metern. Néfertiti stoppt fast parallel zur Gecko auf und der Wind drückt uns bei langsamster Vorausfahrt (um nicht rückwärts auf die Schute getrieben zu werden) auf die Gecko. Kurz darauf sind wir sicher fest in Helgoland. Ich lege noch zwei Springs. Da fragt die Frau von der Sextett:
„Wann wollt ihr denn morgen los?“
„Wir werden das Wetter hier abwettern.“
„Wir auch. Die zwei Jungs von der Gecko sind ja gerade nicht da, aber die wollen morgen früh los.“
„Kein Problem.“
Keiner von uns hat noch Lust zu kochen. Wir sind rechtschaffen müde und fallen bevor die beiden von der Gecko zurück sind in unsere Kojen. Ich lausche auf das Heulen im Rigg. Néfertiti liegt ganz ruhig. Dann bin ich auch schon eingeschlafen.
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Dieser Blog Artikel spielt am 7.8.2019
Wie schön, du schreibst wieder! Auf Helgoland waren wir im letzten Sommerurlaub drei Tage eingeweht – das war herrlich, wir mögen die Insel sehr.
Hi Julian,

Cool, dass Du hier immer noch vorbeischaust!
Freue mich selbst, das ich endlich wieder auch für den Blog schreibe…
Das letzte Jahr war abgesehen von unserem Sommertörn..naja… sagen wir: Ich freue mich auf das Neue!!!
Liebe Grüße
Klaus
Endlich ist Januar
Beim stöbern in den gespeicherten Links bin ich mal wieder auf Deinem Blog gelandet.
Finde Deine Art zu schreiben wirklich klasse und würde mich freuen, mehr von Dir, Ima und der Néfertiti zu lesen.
Gruß Charly