Ich wache auf und das erste, was ich noch im Halbschlaf wahrnehme, ist: Stille. Der Starkwind hat sich endlich ausgeweht. Ich öffne die Augen und das zweite, was ich wahrnehme ist ein offenes Niedergangsluk durch das die Sonne hereinscheint. Ima sitzt vor einem blauen Himmel und meditiert. Ich stehe leise auf. Möchte sie nicht stören. Aber nach ein zwei Minuten öffnet sie von sich aus die Augen und sagt:
„Na, du Langschläfer!“ Es ist gerade sieben durch!
„Ich bin schon seit Stunden auf. Wollen wir an Land?“ Ähm …Bin gerade aufgestanden! … Vielleicht etwas später? … Während mir derlei durch den Kopf geht frage ich etwas zurückhaltend:
„Jeeee-etzt?!“
„Klar. Warum nicht? Es ist Niedrigwasser.“ Imas Tatendrang erschlägt mich.
„Tee ist auch schon fertig in Lady Gaga!“ So heißt unsere etwas schrille violette Thermoskanne, die aber super heiß hält und im Cockpit auf mich wartet.
„Ich möchte lieber einen Muckefuck.“ Das gewinnt auch noch ein bisschen Zeit… Auch wenn die Uhr tickt! In ein paar Stunden wird das Meer hier wieder alles überflutet haben. Ich stelle den Hauptgashahn an und setze Wasser auf. Kurz darauf sitze ich mit einem dampfenden Becher bei Ima im Cockpit. Die Sonne wärmt wohlig und ich nippe an meinem Zichorienkaffee. Lecker. Es geht eine leichte sommerliche Brise und ich fühle mich einfach großartig. Ima scheint etwas ungeduldig. Ich habe gerade den halben Becher auf, da fragt sie:
„Wollen wir los?“
„Du kannst ja schon einmal das Schlauchboot aufpumpen.“ So eilig hat sie es dann doch nicht.
Schließlich pumpe ich das Schlauchboot wieder prall und rudere mit Ima an Land. Während sie beim Dinghy bleibt und Tai Chi macht, jogge ich barfuß am Flutsaum entlang, erfreue mich an der Bewegung und bin froh, dass Ima mich hierher getriezt hat. Aus meiner Bequemlichkeit heraus geholt hat. Das Wasser platscht bei jedem Schritt. Ich laufe bis ins Seegatt, wo der Sand höher liegt und fast trocken ist. Lasse mich im Schneidersitz nieder. Der Krabbenkutter, den wir die letzten Tage immer wieder gesehen haben, fährt relativ dicht am Ufer entlang. Ich hebe die Hand zum Gruß. Der Steuermann winkt zurück. Als er vorbei ist fange ich an zu meditieren. Es dauert nur ein paar Atemzüge, um in einen andern Zustand zu kommen. Ich sollte das viel häufiger machen. Das ist allerdings kein statischer Zustand und nach einer Weile kommen doch wieder Gedanken in meinen Kopf. Es sind aber gute Gedanken und ich lasse sie zu. Genau genommen sind es vier Fragen, die sich in meinen Kopf drängen. Keine neuen Fragen, aber vier Fragen die sich immer wieder neu stellen:
Wer bin ich? Was tue ich? Wie tue ich es? Und warum? Im Moment möchte ich nirgendwo anders sein. Es ist ein perfekter Augenblick. Hier auf dem fast trockenen Sand zu sitzen mit dem Blick hinüber nach Langeoog. Ich fühle mich mit allem um mich herum verbunden. So sehr, dass es mir schwer fällt mich loszureißen, aber das Wasser läuft auf. Es ist schon deutlich gestiegen. Also jogge ich zurück. Ima empfängt mich mit einem Kuss.
„Was hast du denn solange gemacht?“
„Ich brauchte nur etwas Zeit für mich.“ So etwas kann Ima verstehen. Wir spazieren etwas in die andere Richtung, sammeln schnell noch eine Handvoll Austern und kosten den Ausflug bis zum letzten Tropfen aus. Erst als uns das Wasser bis zu den Knöcheln steht, brechen wir auf und rudern zurück zu Néfertiti. Jetzt gibt es erst einmal ein fürstliches Frühstück!
Gegen dreizehn Uhr brechen wir auf. Als Digitaler Nomade im Dienst will Ima morgen früh in den Hafen und das Internet nutzen. Deshalb müssen wir heute irgendwo in der Nähe Spiekeroogs ankern und können dann morgen früh in den Hafen gehen. Zwei Plätze bieten sich an. Vor der Ostspitze Langeoogs und in einem Priel östlich der Hafenzufahrt. Ich wuchte den Anker an Deck. Néfertiti wird leicht achteraus versetzt, aber genau in Richtung des Priels. Ich verstaue in aller Ruhe Anker und Kette, aber bevor ich zurück gehen kann, um es selbst zu machen, rollt Ima schon die Genua aus und segelt auf die nächste rote Tonne zu.
„Nimmst du wieder die Pinne?“
„Du kannst gerne segeln, Ima.“
„Nee, bin gar nicht wild darauf, mach du mal. Ich wollte dir nur helfen.“
„Danke.“ Der Wind nimmt leicht zu und bald segeln wir am Hafen Langeoogs vorbei. Wir sind zu schnell, um eine Stunde vor Hochwasser am Wattenhoch zu stehen. Also reffe ich die Genua und passe die Geschwindigkeit immer wieder an. Leider zeigt die Logge keine Werte an. Im Hafen werde ich das Geberrädchen schrubben müssen. Also muss ich schätzen, und die Distanzen aus der Karte koppeln, aber meine Schätzungen erweisen sich als erstaunlich genau, denn wir passieren das Wattenhoch pünktlich eine Stunde vor Hochwasser. Allerdings wird es nirgends flacher als einsneunzig. Wir wären also auch schon früher durchgekommen… Als wir die Ostspitze Langeoogs erreichen, wird der Ankerplatz nicht aus seemännischen Erwägungen heraus gewählt:
„Das ist hier doch viel romantischer. Guck nur mal die Seehunde.“ Gerade taucht wieder ein neugieriger Seehundskopf ein paar Meter neben Néfertiti aus dem Wasser. Ima ist entschieden und der Seemann hat im Grunde nichts dagegen, nur dass er vermutet im Priel ruhiger zu liegen als hier im inneren Seegatt.
„Ach bitte! Das ist doch viel ruhiger als neulich!“ Damit hat Ima natürlich auch wieder Recht.

Noch liegen wir unruhig. Eine nachlaufende Welle bricht sich draußen auf dem Sandriff, findet aber auch ihren Weg zu unserem Ankerplatz.
Als später die trockenfallenden Sände herauskommen, sind wir auch vor dem Restschwell, der durch das Seegatt hereinsteht, so gut geschützt, dass Néfertiti plötzlich ganz ruhig liegt. Was will man mehr? Auch wenn wir wegen der Seehundkolonie nicht an Land können, verbringen wir hier einen wunderschönen Abend und später eine geruhsame Nacht.
♦♦♦
Ich komme ja ungern auf bereits abgeschlossene Geschichten zurück und es liegt mir auch fern, Salz oder andere Gewürze in irgendwelche Wunden reiben zu wollen. Dennoch möchte ich fragen: Die schöne Segelyacht, die man bei google-earth in der spiekerooger Hafenzufahrt weltweit bewundern kann, just da, wo das Fahrwasser das berüchtigte Häckchen schlägt, und die dort offensichtlich dem nächsten Hochwasser entgegen harrt, ist nicht zufällig ein älterer Langkieler?

Gruß
Matthias
Sieht nach einer Reinke aus… Kimkieler.
Hi Matthias,
Danke für den Hinweis. Wie geil wäre das gewesen, aber es ist nicht Néfertiti. Die Stelle stimmt fast. Wir lagen auf der ersten Sandbank, direkt am Fahrwasser, während das Boot auf der zweiten liegt. Wahnsinn, man kann ja sogar die Pricken erkennen.
Liebe Grüße
Klaus
Mensch Matthias, Néfertiti ist doch im Bild!

Mir hat das keine Ruhe gelassen, denn ich erinnerte mich an diesen Kimmkieler auf dem Häckchen. Ima ist gerade aus Ägypten zurück und schläft jetzt, da habe ich mir auf Google Earth Norwegen angesehen, was vielleicht unser nächstes Ziel werden könnte… Da fiel mir auf, dass unten immer ein Aufnahmedatum eingeblendet ist. Laut Tagebuch ankerten wir an dem Tag der Aufnahme ganz in der Nähe. Also habe ich mir noch einmal Spiekeroog angeguckt. Tatsächlich ist Néfertiti auf dem Bild!!! Allerdings nicht auf dem Häckchen, sondern südöstlich davon im Priel. Der trockengefallene Katamaran ist abends sehr dicht an uns vorbei gesegelt. Und der andere Segler am Strand dürfte die Isern Hinnerk sein, die da mit Wattstützen stand. Wie geil ist das denn?!!
Freue mich schon darauf den nächsten Artikel zu schreiben, denn der wird just an dem Tag spielen!!! Néfertiti ankert südwestlich des Hakens. Die Aufnahme ist nicht farbecht, deshalb habe ich sie nicht sofort erkannt. Außerdem hielt ich den Mast auf dem ersten Blick für ein weißes Segel…
Danke! Danke! Danke!
Liebe Grüße
Klaus