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Segeln als Digitale Nomaden

Sturmtief Xaver

Dez• 08•13

Sturmtief Xaver heult im Rigg Néfertitis. Orkanböen sind angesagt.

Ich trete in die Pedale. Die ersten Böen zerren an mir, so dass mein Rad fast stehen bleibt. Auf den letzten fünfhundert Metern fängt es auch noch an zu regnen. So ein Pech. Ich wollte die Rollgenua abschlagen. Ich schließe mein Rad am Zaun fest und suche nach dem Bootsschlüssel. Oh bitte nicht! Aber ich weiß schon, bevor ich alle Taschen durchsucht habe, dass der Bootschlüssel schön ordentlich auf seinem Platz zu Hause liegt. Ich kann nicht einmal den schweren Rucksack mit Proviant und Lesestoff für zwei Tage ins Cockpit stellen, denn ich komme nicht durch das Tor vor dem Steg und es ist niemand da. Na klasse, Klaus. Ganz großes Kino. Also schließe ich mein Rad im inzwischen strömenden Regen wieder auf und radele zurück. Wenigstens habe ich jetzt Rückenwind.

Bei erstem Büchsenlicht versuche ich ...

Wir finden uns anderthalb Stunden nach Hochwasser …

Als ich eine dreiviertel Stunde später doch noch an Bord von Néfertiti klettere, bin ich klitschnass. Schnell das Luk aufschließen und runter in die warme Kajüte. Naja, Was man so warm nennt. Sieben Grad. Die Orkanböen sind gegen 16.00 Uhr angesagt. Das gibt mir Zeit die Rollgenua abzuschlagen. Glücklicherweile kommt der Wind von schräg vorne. Ich nutzte eine Pause zwischen zwei Böen und es geht sowohl schneller als auch einfacher als gedacht. Pech nur dass es immer noch regnet und ich eine riesiges nasses Segel unter Deck bringe. Dann schlinge ich eine Leine um die Baumpersenning, damit die nicht so wild schlägt.

 

Nachdem ich die Genua in der Vorpiek untergebracht ist, bringe ich noch zwei zusätzliche Leinen nach Luv aus. Ich glaube wir sind ganz gut vorbereitet auf das Sturmtief Xaver.

Meinen heißen Tee habe ich mir nun redlich verdient. Finde ich jedenfalls. Aber vorher ziehe ich alle nassen Sachen aus und hänge sie in die Vorpiek. Plötzlich krängt das Boot so, dass ich das Gleichgewicht verliere und mich festhalten muss. Und das mit nacktem Mast. Gut dass ich die Genua abgeschlage habe. Ziehe mir schnell trockene Sachen an. Der Wasserkessel fängt an zu pfeifen. Noch wichtiger als der Tee scheint mir plötzlich die Wärmflasche. Also nehme ich das Teewasser für die Wärmflasche und setze neues Wasser auf für einen leckeren Ostfriesentee. Habe Xaver zu Ehren extra Schlagsahne und Kluntjes mitgebracht. Stecke die Wärmflasche unter die Fleecejacke. So wird es hier fast kuschelig. Noch ein paar Kerzen an und dann kann der hohe Gast kommen. Ich fleetze mich mit einem Buch auf die Koje, decke mich mit meinem Schlafsack zu. Herrlich. Denke an Iman, die noch immer an Spaniens Mittelmeerküste weilt.

Die Böen spielen mit Néfertiti. Die alte Dame reagiert gutmütig, wie eine Lieblingsoma auf die übermütigen Späße ihrer Enkel. Sie neigt sich, schaukelt ein bisschen und läßt sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Auch wenn die Böen nicht ohne sind, sie dauern kaum länger als eine Minute und meistens ist der Wind handig. Da habe ich schon anderes erlebt.

Nach einer Weile höre ich Stimmen. Ich verlasse mein gemütliches Lager und schiebe das Luk auf. Alex und seine Frau kommen die feste Treppe herunter. Alex Schiff ist allerdings etwas größer. Die „Classic Queen“, ein altes Fahrgastschiff, mit dem er Hafenrundfahrten macht.
„Moin Klaus, Bleibst Du über Nacht auf Wache?“
„Ja. Du auch?“

„Auf alle Fälle. Morgen früh soll es noch heftiger werden.“ Ich dachte das Schlimmste sei überstanden, wenn es dunkel wird. Wir verabreden uns, uns im Falle eines Falles gegenseitig zu helfen. Dann kuschel ich mich wieder in den warmen Schlafsack. Im Sommer ist Néfertiti knochentrocken, egal wie nass das Wetter ist. Aber jetzt tropft Schwitzwasser von der Kajütdecke. Ich muss an Wilfried Erdmann denken und seinen Nonstoptörn. Die Stelle, an der er sein Boot mit einer feuchten Tropfsteinhöhle vergleicht. Ich habe das im gemütlichen Wohnzimmersessel immer überlesen. Wilfried Erdmann hat monatelang unter solchen Bedingungen gelebt. Auf See, nicht im Hafen. Mein ohnehin großer Respekt wächst noch einmal. Ich wische die Decke mit einem Handtuch ab, wohlwissend, dass sich das Schwitzwasser bald wieder neu bildet. Habe auch noch soviel Feuchtigkeit unter Deck geholt. Mit der nassen Genua und meinen Klamotten. Ich schicke Iman eine SMS, dass hier alles soweit ok ist. Es fängt an zu hageln. Laut knallen die Hagelkörner an Deck. Und genauso plötzlich wie es angefangen hat, hört es auch wieder auf.

Orkan Xaver setzt Brücke zum Steg unter Wasser

… immer noch von der Außenwelt abgeschnitten

Der Wind heult. Es wird dunkel. Ich mache mir gerade Abendbrot, da bekomme ich eine SMS. Von Ralf: Wenn ich Hilfe mit dem Boot bräuchte: Ich könnte ihn die ganze Nacht über anrufen. Danke Ralf. Es ist toll Freunde wie Dich zu haben. Zwei Stunden später klingelt das Handy abermals. Diesmal Ralf persönlich:
„Ich nehme an, dass du keine Nachrichten hörst. Morgen früh soll das Hochwasser 5,60m über Normalnull sein.“
„Ok.“
„Vielleicht wirst du eingeschlossen.“
„Ich bleibe auf alle Fälle.“
Auch wenn ich zugeben muss, dass ich die Tragweite des Gesagten nicht wirklich begriffen hatte, sonst hätte ich mein Fahrrad woanders abgestellt. 5,60 ist für mich nur eine Zahl. Mir war nicht bewußt, dass die Sturmflut 50cm höher werden wird, als die Katastrophensturmflut von 1962. Aber selbst wenn, ich wäre trotzdem geblieben. So lösche ich das Licht, kuschel mich in den Schlafsack und schlafe ein, mehr oder weniger sanft von Xaver gewiegt. Ich wache immer wieder auf und werfe einen Blick in die Runde. Das Wasser steigt und steigt.

Als ich in den frühen Morgenstunden hinausschaue, heult der Wind immer noch, aber die Böen sind genauso kurz und handig wie gestern auch. Ich steige an Deck und kann kaum glauben was ich sehe. Das Wasser steht fast zwei Meter über der Brücke. Und auch über meinem Fahrrad. Und den Gleisen dahinter. Und noch steigt das Wasser. Die Dalben schauen nur noch höchstens einen Meter fünfzig aus dem Wasser. Wenn das Wasser darüber hinaus steigt, verliert der Schwimmsteg seine Führung. Ich beschließe Alex zu wecken. Ihm gehört immerhin die Steganlage. Da kommt er aber auch schon auf Néferttiti zu gelaufen. Dick in Ölzeug eingepackt.
„Vielleicht müssen wir die Dalben verlängern. Ich habe noch Kanthölzer, die wir benutzen könnten. Aber ich hoffe, dass das Wasser nicht so weit steigen wird.“ Gegen 6.30 Uhr ist Hochwasser.
„Ich bin bereit, wann immer du meinst.“
„Ok.“

Eine Stunde später ist klar, dass wir die Dalben nicht provisorisch verlängern müssen. Ich frühstücke erst einmal.

Gegen neun fährt Alex nach Hause, um dort nach dem Rechten zu sehen. Mittags will er zurückkommen. Ich werde so lange die Stellung halten. Bei meinem stündlichen Kontrollgang über den Steg entdecke ich, dass es einen Fender von Boris Boot hochgedrückt hat. Er liegt jetzt auf dem Steg. Ich drücke ihn wieder zwischen Boot und Steg und bemerke erst jetzt die offenen Bullaugen. Ob das Absicht ist? Zur Belüftung? Ich rufe Boris an. Eigentlich war das Bullauge zur Belüftung mit einer Plane abgedeckt. Sonst scheint es allen Booten gut zu gehen. Nur die Classic Queen schwoijt am Steg hin und her, weil ihr Heck bei dem starken Seitenwind über das Ende des Steges hinausreicht. Im wieder kommt die Vorleine steif. Kein Wunder, dass Alex die Nacht über kein Auge zugetan hat. Ansonsten scheint der Wind nachzulassen. Selbst in den Böen ist es handig. Ich kehre zu Néfertiti zurück und mache mir zur Abwechslung mal wieder einen Tee.

Gegen Mittag rufe ich Alex an. Er ist schon auf dem Weg. Also breche ich auf. Mein versunkenes Fahrrad sieht eigentlich ganz normal aus. Nur ein bisschen Stroh hat sich in den Speichen verfangen. Ich entferne es und schwinge mich auf den Sattel. Nach wenigen Metern habe ich einen nassen Hintern. Aber davon abgesehen fährt es sich wie immer. Ich schalte den Dynamo ein, ohne zu erwarten, dass er funktioniert, aber sogar das Licht leuchtet, als wäre nichts geschehen…

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11 Comments

  1. Fredy sagt:

    Hallo Klaus
    Absolut toller Bericht. Ich war ein paar Minuten mitten im Geschehen….und den Schlüssel vergass ich auch schon..lg aus der Schweiz

  2. Axel von der Pirola sagt:

    Hallo Klaus, Hallo Iman,
    habe euren Blog vor einigen Tagen entdeckt und mußte mich erst einmal durch einige Beiträge lesen.Und dann kam Xaver und brachte etwas Unruhe in Winterlager. Liegen in der Halle im Yachthafen Wedel, die Halle lief voll Wasser, aber nichts passiert alles ok.
    Den Blog finde ich gut, weiter so. Schön das euch das segeln auf der Nordsee so gut gefallen hat. Vielleicht sieht man sich in der nächsten Saison auf Elbe oder Ostsee,
    Axel von der Pirola

  3. Klaus sagt:

    Lieber Axel, danke für Deinen Kommentar. Gut, das bei Euch alles glatt gegangen ist mit Xaver. Gottseidank hat er in Hamburg nicht sooo stark gewütet.

    Würde mich freuen, wenn wir uns mal auf dem Wasser begegnen … Habt Ihr Euren Liegeplatz in Wedel und geht nur für die Sommerferien in die Ostsee, oder seid Ihr nur im Winterlager hier?
    Liebe Grüße
    Klaus

    • Axel von der Pirola sagt:

      Hallo Klaus,
      danke für deine schnelle Antwort. Wir wohnen in Wedel und da ist das Boot im Winterlager in Wedel. Im Frühjahr und Herbst sind wir auf der Elbe, früher auch mal in den Watten (Nordfriesland. Im Sommer, ab Mitte Juni segeln wir auf der Ostsee und sind Ende August zurück auf der Elbe.

      Grüsse Axel

      • Klaus sagt:

        Toll. Das klingt nach viel Segeln im Jahr. Finde ich gut.

        Meine alte Jolle lag auch in Wedel. Wenn man nicht gerade auf Industrieromantik steht, wird die Elbe ja auch erst kurz vor Wedel schön.
        Liebe Grüße
        Klaus

  4. Friedemann sagt:

    Hallo Klaus, schön von Dir zu hoeren bzw zu lesen. Habe Xaver auf „Morla“ im Cityhafen abgeritten. Sturm und Böen fand ich nicht so stark wie der Sturm vor ein paar Jahren, aber das Hochwasser war schon mächtig. Du kennst ja die Dalben im Cityhafen, sie ragen über die Kaimauer hinaus. Bei Fluthöchststand konnte ich meine Hand auf den Dalbendeckel legen. Riesig! Bei noch höherem Wasserstand wäre es zu Problemen auf der Baustelle zur neuen Flutschutzmauer gekommen. Jedenfalls waren Feuerwehr und Helfer die ganze Nacht beschäftigt das Wasser, das durch die noch nicht fertige Schleusenabsperrung rann, wieder zurück zu pumpen. Das Brückenmittelteil der Rampe war 2 Meter unter Wasser. Landgang und Arbeitbeginn erst ab 9.00 Uhr moeglich. Liebe Gruesse von Hanna & Friedemann Hope to see you soon

  5. Klaus sagt:

    Lieber Friedemann, ich freue mich von Dir zu „hören“! ;) War mir sicher, dass Du auch während des Sturms an Bord der Morla sein würdest. Gut, dass das glimpflich abgegangen ist. Ich schaue die Tage mal spontan vorbei. Vielleicht bist Du ja an Bord …
    Liebe Grüße auch an Hanna
    Alles Liebe
    Klaus

  6. Lucky sagt:

    Sehr schöner Bericht, so wie eigentlich alle auf dieser Seite.

    Von Köln auf dem Weg zur Ostsee habe ich auch einmal den Bootsschlüssel vergessen. Zum Glück ist es mir bereits auf Höhe Hamburg aufgefallen und so konnte ich kurz vor 22 Uhr – also just in time – noch schnell in einen REAL und eine Stahlsäge besorgen. Sogar mit Ersatzblättern, die dann doch nicht zum Einsatz kamen. Ebenfalls Glück im Unglück: Das Boot war damals eine Shark 24 deren Schiebeluk mit einem (teuren) Vorhängeschloss gesichert war. Es dauerte zwar ein wenig und die Nachbarn haben etwas verstört geguckt, aber so kamen wir verspätet aber glücklich in unser Boot und mussten nur zwei neue Schlösser (Backskiste) besorgen. Bei unserem neuen/aktuellen Boot wäre dies mit dem klassischen Niedergangsschloss nicht mehr ohne weiteres möglich…

  7. Klaus sagt:

    Lieber Lucky,

    Schön, dass Dir der Blog gefällt. :) Ich stamme ja eigentlich auch mal aus dem Rheinland. Aus Königswinter. Beim Lesen Deines Kommentares wurde mir bewusst, was für ein Schweineglück das ist, so nah an der Küste zu leben… Wie kurz im Vergleich unsere Wege sind…

    Liebe Grüße
    Klaus

  8. Kade´ sagt:

    Hallo Klaus,
    Dein Erlebnis mit Xaver war so toll beschrieben, dass ich Dich immer vor mir gesehen hab, als ob ich selbst dabei gewesen wäre. Meine „Kade´“ geht im nächsten Jahr auch wieder an die Küste, was soll so ein tolles Segelboot auch auf der Mosel.

    Liebe Grüße Kade´

  9. Klaus sagt:

    Lieber Kadé,
    dass freut mich ja ganz besonders, dass Du Dich hier im Blog zu Wort meldest… :) Was die Kadé angeht, finde ich auch: So ein schönes Segelboot gehört auf’s Meer und nicht auf die Mosel. Auch wenn die Mosel schön ist (und für Dich nah)

    Lass uns mal telefonieren, wenn Du wieder im Lande bist:
    Alles Liebe
    Klaus

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