Am nächste Morgen herrscht grauer Himmel. Westwind 5 Bft, in Böen 6 Bft. Iman guckt mich an:
„Na, was sagt der Wetterbericht? Willst du heute rüber nach Cuxhaven segeln?“ Ich schüttele den Kopf. Wer will schon bei solchem Wetter durch die Seegatten?
Stattdessen frage ich:
„Lust auf einen Wattspaziergang?“ Iman nickt. Ich mache Echna klar. Hoffentlich bleibt es trocken. Iman ruft aus der Kajüte:
„Soll ich dir deine Ölzeugjacke mitbringen?“
„Nee, danke.“
Ich fühle mich immer so unbeweglich in dem Ding. Während Iman ihre Regenjacke anzieht, nehme ich mit meiner Fleecejacke vorlieb. Wir setzen über. Iman macht ihr Training und ich suche im Priel nach Krabben, aber die sind alle so klein, dass ich sie wieder zurückwerfe. Nach einer halben Stunde spüre ich den ersten Tropfen im Gesicht. Es fängt an zu regnen. Wir hasten zurück zu Echna. Ich rudere in Rekordzeit zur Néfertiti hinüber, aber inzwischen ist aus dem zarten Regen ein Wolkenbruch geworden. Lange bevor wir die schützende Kajüte erreichen sind meine Klamotten klitschnass. Iman ist großzügig genug, auf jeden Kommentar zu verzichten …
Der Ankerplatz ist nicht schlecht. Bei Hochwasser liegt Néfertiti unruhig, aber nur, solange der Wind gegen den Strom setzt. Wenn erst die Sände herauskommen, fühlt man sich in Abrahams Schoß. Das kleine Boot mit den blauen Cockpittaschen ankert immer noch vor Minsener Oog. Warum verlegen die nicht? Gemütlich ist es da drüben bestimmt nicht …
Was macht man im Urlaub, wenn es regnet? Auf der Koje liegen und schmökern … naja, wenn man nicht gerade einen Segelblog schreibt. So sitze ich über meinen Notizen, um den Blog auf dem aktuellen Stand zu bringen, während Iman ihren Roman zuende liest.
Habe ich da nicht einen Motor gehört? Ich schreibe noch eben den Absatz fertig und schaue durch das Bullauge: Ein kleines Segelboot ist neben uns vor Anker gegangen. Mit blauen Cockpittaschen. Keine Nationale. Ist ihnen wohl doch zu ungemütlich da draußen geworden. Zwei Gestalten sind an Bord. Einer hat sich bis auf die Unterhose ausgezogen, springt ins brusttiefe Wasser und watet an Land.
Leider habe ich das Ankermanöver nicht mitbekommen. Ich beobachte Neuankömmlinge gerne. Im Allgemeinen lässt das Ankermanöver erste Rückschlüsse zu, wie es um die Seemannschaft der neuen Nachbarn bestellt ist. Wenn sie nämlich nachts auf Drift gehen, kann das auch Néfertiti beeinträchtigen… Das Boot liegt für meinen Geschmack verdammt nahe. Im Moment ziehen Wind und Ebbstrom an einem Strang. Wenn das Wasser aber wieder steigt, ändert sich das und die Boote werden anfangen zu schwoijen und zwar nicht synchron in die gleiche Richtung, wie man das in tidenfreien Revieren kennt. Viel Platz wird da zwischen uns nicht bleiben…
Ich setze mich wieder auf meine Koje und arbeite weiter am Blog.
Später meldet sich der Hunger. Wir kochen gemeinsam. Heute soll es etwas besonderes werden. Schließlich haben wir etwas zu feiern. Ich schwenke den Tisch in die Mitte. (Was wir zu weniger feierlichen Anlässen oft unterlassen.) Schnell noch ein paar Kerzen auf den Tisch: Großes Candlelightdinner. Auch in den nächsten Tagen ist Starkwind angesagt. Wir feiern, dass wir noch ein paar Tage Gast dieser wunderschönen Inseln sein werden.
Abends ist unser Nachbar trockengefallen. Der Kurzkieler liegt hart auf dem Ohr. Die Armen. Ihre Kojen sind vermutlich kaum nutzbar. Ich kann niemanden an Bord ausmachen. Immerhin sehe ich einen Anker im Sand liegen. Keine fünf Meter vom Bug entfernt. Kein gutes Zeichen. Ich werde das Boot heute nacht im Auge behalten müssen. Lege für alle Fälle unser Nebelhorn auf den Kartentisch und schalte unser Ankerlicht ein. Dann schreibe ich noch am Blog. War einfach zu faul die letzten Tage… Es wird schnell dunkel. Stockduster.
Drüben regt sich nichts. Kein Licht und auch kein Ankerlicht. Hinter dem Neuankömmling liegt ein zweites Boot hoch und trocken, dessen Ankerlicht (diese Funzel!) mich so „blendet“, dass das hell gestrichene Segelboot davor unsichtbar wird. Nicht einmal einen Schemen kann ich erkennen. Dabei ist es keinen Steinwurf entfernt. Unsere Taschenlampe reicht nicht hinüber. Ist auch nicht als Suchscheinwerfer gedacht…
Die Notizen für den Blog sind mittlerweile auf dem neuesten Stand. Ich habe nichts mehr zu tun und bin hundemüde. Iman ist längst mit einer Wärmflasche im Schlafsack eingeschlafen. Jetzt Ankerwache gehen für ein Boot, dass ich ohnehin nicht sehen kann?! Dessen Besitzer erst nachlässig ankert, und dann so rücksichtslos ist, nicht einmal das Ankerlicht zu setzen?! Es ist ein Kunststoffboot: Wenn es sich mit Néfertiti anlegen sollte, weiß ich, wer den kürzeren zieht.
Trotzdem überwinde ich den inneren Schweinehund und lege mich mit einem Buch auf die Koje, mummele mich in den Schlafsack, fest entschlossen bis Hochwasser wach zu bleiben. Aber wenn man eigentlich nur schlafen möchte, gerät auch lesen zu Arbeit. Alle zwanzig Minuten stehe ich auf, ohne irgendetwas erkennen zu können, nicke irgendwann ein, aber schrecke Minuten später wieder hoch. Irgendwie kommt mir mein Ausharren sinnlos vor.
Endlich ist Hochwasser. In der stockdunklen Nacht ist nichts zu erkennen. Kein Ankerlicht, dass die Position des Unglücksbootes anzeigen könnte. Kein Kabinenlicht. Entweder ist das Segelboot längst vertrieben, oder sein Anker hält auch für den Rest der Nacht. Auf alle Fälle hört mit dem Einsetzen der Ebbe das Schwoijen auf. Damit ist wenigstens für Néfertiti die Gefahr gebannt. Sekunden später bin ich eingeschlafen. Aber ich schlafe unruhig und werde noch mehrfach in dieser Nacht wach. Aber wie oft ich auch schaue: Das Nachbarboot bleibt unsichtbar.
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Wir haben dich mal nominiert: http://reisefeder-blog.com/2014/02/26/liebster-award-discover-new-blogs/#more-4077