Fahrtenseglers-Glück.de

Segeln als Digitale Nomaden

Die Ankerlieger

Mrz• 01•14

Als ich früh morgens wach werde, ist es hell. Wir haben Niedrigwasser. Wahrscheinlich hat mich Néfertiti geweckt, als die Tide kenterte. Die halbe Nacht hatte mich der Ankerlieger neben uns auf Trab gehalten. Ohne Ankerlicht vor fünf Metern Leine. Ich klettere sofort aus meinem Schlafsack und werfe einen Blick durch das Bullauge. Keine Spur von dem kleinen Segelboot!

 

Segelboot Freja ist im Watt vertrieben

Vertrieben

Ich schiebe das Luk auf und strecke meinen Kopf raus. Das Boot liegt hundert Meter hinter uns auf dem Ohr. Direkt neben den drei Pricken, die den Anfang des Wattfahrwassers markieren.
„Diese Deppen sind doch tatsächlich vertrieben.“
„Klaus!“ Entrüstung in der Stimme. „Das sind keine Deppen!“ Ich bin etwas erschrocken über Imans Heftigkeit.
„Du weißt schon, wie ich das meine.“ Sie weiß es nicht. Iman empfindet meine Äußerung als respektlos. Sie hat sich auch nicht die Nacht wegen der Nachlässigkeit der beiden um die Ohren geschlagen. Aber ich bin gerade überhaupt nicht auf Krawall gebürstet. Und die beiden tun mir eher Leid. Also nehme ich die „Deppen“ in aller Form zurück und greife nach dem Fernglas.

„Freja, Horsens.“ kann ich entziffern. Also sind es Dänen. (Keine Nationale)

Ich fühle mich nicht ganz auf dem Damm. Kränkele. Magenmäßig. Ich sage zu Iman:
„Mir ist übel.“
„Dann leg dich noch etwas hin.“ Das mache ich auch, während Iman einen Kräutertee kocht. Bevor das Wasser heiß ist, bin ich allerdings schon wieder eingeschlafen.

Als ich endlich aufstehe, tanzt Néfertiti an der Kette. Katzenköpfe. Kein gemütlicher Tag. Auch Freja schwimmt wieder. Komisch. Warum gehen die nicht ankerauf? Das Boot hängt in den drei Pricken. Jede Welle muss an Bord ein mörderisches Geräusch verursachen, das mich als Skipper längst an Deck geholt hätte. Vor meinem inneren Auge sehe ich plötzlich ein Schreckensbild: Vielleicht liegt da jemand hilfsbedürftig in der Kajüte… Vielleicht eine Kohlenmonoxidvergiftung?

Die Yacht hängt in den Pricken, aber keiner kümmert sich ...

Warum gehen die nicht ankerauf?

„Iman, ich muss da rüber.“
„Ich denke, du bist krank?!“
„Kein Skipper der Welt würde unter Deck liegen bleiben. Da ist etwas passiert.“
„Musst Du immer den Helden spielen? Du bist krank.“
„Das würde jeder tun.“ Ich steige den Niedergang hoch. Iman zerrt mich zurück.
„Dann kann es ja einer von den anderen Booten machen.“ Weit und breit ist niemand an Deck zu sehen.
„Die haben das nicht mitgekriegt.“
Iman will mich nicht loslassen. Sie hat Angst um mich. Da habe ich eine Idee. Das Horn.
„Wir geben ein Warnsignal. Wenn aber keiner an Bord der Freja reagiert, rudere ich rüber!“
Iman sieht mich lange an. Sie weiß, dass es mir ernst ist. „Na gut. Sei vorsichtig!“
„Einmal lang, viermal kurz und …“ Iman steigt an Deck und trötet, dass mir die Ohren abfallen. Keine Reaktion. Iman wiederholt das Signal und ich gehe auf das Vorschiff, um Echna zu Wasser zu lassen.

Da klettert ein junger Mann in Unterhose von der anderen Yacht herunter und watet ins Wasser. Ich erkenne in ihm den Mann, der auch kurz nach der Ankunft der Freja ins Wasser gestiegen war. Ich rufe ihm zu:
„Wait. I row you with the dinghy! Just a second!“ Echna gleitet ins Wasser. Ich steige über, hänge die Ruder ein und rudere dann auf den jungen Kerl zu, der frierend im hüfthohen Wasser steht. Kaum bin ich heran, steigt er ins Schlauchboot und ich rudere los.
„Thank you for the signal.“ Manche Menschen sind einem auf den ersten Blick zutiefst sympathisch. Nilaus gehört zu diesen Menschen. Im Stillen leiste ich noch einmal Abbitte für den „Deppen“.

Segelboot havariert: Hängt in den Pricken

Erstmal das Schlauchboot an Deck …

Freja liegt vor zwei Ankern. Beide Leinen haben sich um sich selbst vertörnt und eine ist um die Pricken gewickelt. Anscheinend ist eine der Leinen drüber gerutscht, als das Boot die Bäumchen fast auf die Wasseroberfläche gedrückt hatte, die andere Leine aber nicht.
„Any idea?!“ Nilaus sieht mich an.
„Yes.“ Erstmal ziehen wir Echna auf das Kajütdach, damit sie uns beim Abwickeln nicht in die Quere kommt. Dann den Draggen klarieren. Geht leichter als gedacht. Nilaus startet den Außenborder, der nach zwei, drei Versuchen glücklich anspringt. Wir fahren entgegen der Wicklung um die Pricken. Wenig später hole ich den zweiten Anker kurzstag. Kaum habe ich den Anker ausgebrochen gibt Nilaus Gas. Der Pilzanker hängt noch im Wasser und bekommt Untertrieb. Ich halte gegen. Ein stichartiger Schmerz schießt mir in den Rücken.
„Slow down! Slow down!“ Nilaus nimmt Gas weg und ich hole den Anker an Deck. Gottseidank kein Hexenschuss. Das fehlte jetzt noch. Aber der Schmerz ist so schnell verschwunden, wie er gekommen ist. Kurz darauf ankern wir nahe der alten Stelle mit mehr Abstand zu allen Booten und mehr Leine.
„ Welcome at the North Sea…  Some things are different … “
„Yes, it seems so.“ Er grinst mich an. „But we’ll learn!“

Ich sitze noch eine Weile im Cockpit und bekomme die ganze Geschichte zu hören:
Kleines Boot gekauft und aufgebrochen. Learning by doing. Nilaus will nach England, sein Kumpel muss bald aussteigen. Zuerst hatten sie vor Minsener Oog geankert. Ja, war ziemlich ungemütlich. Aber in dem starken Strom haben sie den Anker nicht mehr ausbrechen können. Ich gebe ihm den Tipp mit Motorhilfe auszubrechen. Ja so hätten sie es letzten Endes auch geschafft.
„Warum habt ihr kein Ankerlicht gezeigt?“
„Our battery was exhausted.“ Aha. Ohne Batterie kein Ankerlicht. Mein Unwillen von letzter Nacht ist allerdings längst einem Wohlwollen gewichen.
„You may should use a longer anchor line.“
Nilaus stimmt zu. Wegen des kurzen Abstandes zu den anderen Booten hatten sie sich nicht getraut mehr Ankerleine zu stecken … Als Freja schließlich trockengefallen auf der Seite lag, hatte der Skipper der anderen Yacht sie eingeladen bei ihm an Bord zu schlafen… Deshalb haben sie nicht mitbekommen, dass das Boot vertrieben war…
Ich bin ehrlich gesagt nur heilfroh, dass da niemand tot unter Deck lag.
„Thank you, Klaus for the signal. Gehst du nach Wangerooge?“
„May be. The weather seems to get worse… “
„If we meet again, I’ll buy you a bottle of wine…“ Breites lausbübisches Grinsen.
„No need. Just help somebody else if you are able to …“
Aber Nilaus besteht darauf uns eine Flasche Wein zu schenken. Ich zucke mit den Achseln. „Ok. We can drink it together.“

Segelboot im Watt

Ankerleinen klariert. Die drei Pricken stehen auch noch …

Ich rudere noch einmal zu der anderen Yacht, um auch den zweiten Dänen trockenen Fußes an Bord der Freja zu bringen. Der Skipper dieser anderen Yacht grinst mich an, als ich mich an der Bordwand festhalte und auf Esgar warte:
„Die beiden sind neu im Watt. Ich habe ihnen gestern ein bisschen Nachhilfe gegeben.“
„Das ist gut.“ Einen Kanister Diesel hat er für die beiden auch noch als Geschenk. Dann steigt Esgar mit seinen Sachen in einer Plastiktüte ins Schlauchboot …

Wieder an Bord Néfertitis, werde ich von Iman umarmt: „Mein dickköpfiger Held!“ Von dem kurzen Schmerz im Rücken erzähle ich lieber nichts. Dann geht es mir wie den meisten rückkehrenden Helden: Ich werde mit Frühstück verwöhnt…

Irgendwie bewundere ich die beiden Dänen für Ihren Mut. Sie erinnern mich an mich selbst in jungen Tagen. Aber sie haben diesen Traum schon mit Anfang zwanzig in die Tat umgesetzt! Das finde ich toll. Wenig später gehen die beiden ankerauf. Kurzes Winken. Unsere Entscheidung ist inzwischen auch gefallen: Wir werden ihnen später folgen, müssen nur noch auf Hochwasser warten.

♦♦♦

You can follow any responses to this entry through the RSS 2.0 feed. You can leave a response, or trackback from your own site.

7 Comments

  1. Till sagt:

    Spannung – danke für diesen Beitrag! Gegenseitige Hilfe ist meines Erachtens gerade auf See absolut elementar!

  2. Fredy sagt:

    Hallo Klaus
    Toll gemacht, toll aber auch von Iman, dass sie dich zur Vorsicht mahnt….gegenseitige Hilfe ist ein wertvolles Gut..bewahren wir es…wünsche euch weiterhin eine tolle Zeit..lg Fredy

  3. Klaus sagt:

    Ja, lasst uns dieses wertvolle und elementare Gut erhalten! Ich glaube allerdings, dass die meisten Segler und Seeleute genauso denken … und hoffe, dass aller technischer Fortschritt diese schöne Tradition nicht zerstört.

    Deine Bemerkung, Fredy, zu Iman finde ich übrigens richtig klasse!
    Liebe Grüße
    Klaus

  4. Jörg sagt:

    Sehr schöne Geschichte…!
    Erinnert mich an einen Vorfall, den ich mal im Langeooger Watt erlebt habe. Ich war mit meiner Freundin auf dem Weg von Baltrum nach Hooksiel, und wir hatten als Etappenziel Spiekeroog. Ungefähr in Höhe des Langerooger Wattrückens war ein Conger gekentert, mit drei Mann an Bord. Es hatte ziemlich geblasen, und den drei ist es nicht gelungen, dass Boot wieder aufzurichten. Anfänglich waren wir nur auf „Standby“, aber als wir gesehen haben, dass sie es nicht schafften, haben wir sie an Bord genommen (Sund 27, Tiefgang ca. 1,10). Ich hatte die DGzRS gerufen, die von Langeoog mit den Rettungsboot kamen. Derweil saßen die drei bibbernd bei mir im Cockpit. Wir gaben Ihnen Handtücher und warme Sachen. Der Wind trieb uns immer weiter ins Watt hinein, und ich bekam langsam Sorge wg. des Tiefgangs. Glücklicherweise kamen die Jungs von der DGzRS superschnell zu uns. Beim Aufrichten brach leider der Mast des Congers. Aber egal, kurze Zeit später waren wir alle auf dem Weg in den Langeooger Hafen. Rettungslohn war eine Flasche Wein und eine kostenlose Übernachtung im Hafen.
    Auf See muss man sich einfach helfen. Irgendein Ding kann immer passieren, und dann ist man froh, wenn eine helfende Hand zur Stelle ist.

  5. Klaus sagt:

    Lieber Jörg,
    schön, dass Du Deine Geschichte hier mit uns teilst. :)

    So sollte man sich verhalten. Habt Ihr gut gemacht. Finde ich klasse. Gerade auch, dass ihr erstmal da geblieben seid, um dann im Notfall eingreifen zu können …

    Liebe Grüße
    Klaus

    • Jörg sagt:

      Hilfe wird aber leider nicht immer honoriert bzw. geschätzt und als selbstverständlich hingenommen.
      Als Student habe ich während der Semesterferien auf Juist als Rettungsschwimmer gearbeitet. Einen Tag beobachteten wir eine Gruppe von Schwimmern, die zwar auf den Stand zuschwammen, aber nicht näher kamen. Ich bin dann zu ihnen geschwommen, schätze mal, dass so ungefähr 100 Meter waren. Ein junges Mädchen (schätze mal so 15 Jahre) war schon ziemlich entkräftet und hatte blaue Lippen. Ich sagte zu den anderen, sie sollen zum Strand schwimmen und habe das Mädchen abgeschleppt.
      Abends in der Disco habe ich sie getroffen. Auf die Situation freundlich angesprochen sagte sie nur, dafür seien wir ja da… Auf der einen Seite richtig, auf der anderen Seite ziemlich enttäuschend, dass der Einsatz so wahrgenommen wurde. Ich hab’s damals auf ihr Alter geschoben.
      Hast Du von dem Typen gehört, den sie in England x-mal aus Seenot gerettet haben?

      Liebe Grüße
      Jörg

  6. Klaus sagt:

    Lieber Jörg,

    ich finde am Wichtigsten, dass man selbst bereit ist, anderen auch zu helfen. (Wie Till in seinem Kommentar schreibt „Gegenseitig“.) Dann braucht man meine Hilfe auch nicht besonders zu honorieren…

    Als ich Deine Geschichte las, war ich im ersten Moment schockiert über die Reaktion des Mädchens. Immerhin hast Du auch Dein Leben riskiert! Als ich einen Moment darüber nachdachte, ist mir eine andere Lösung eingefallen, die das Verhalten sehr wahrscheinlich erklärt:

    Ich vermute, dass sie Angst hatte, Du wolltest sie anmachen. In der Disco … Urlaub … der knackige Rettungsschwimmer …

    Dass Dir die Idee noch gar nicht gekommen ist, lässt mich vermuten, dass Du keinerlei Absichten hattest. Aber das konnte sie nicht wissen… ;)

    Liebe Grüße
    Klaus

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.