Samstags morgens. 8.30 Uhr. Wir sind seeklar. Mein Rücken fühlt sich gut an, aber ich trage für alle Fälle einen wärmenden Leibwickel. Néfertiti ist zugeparkt. Zwei Zweierpäckchen. Vorne haben wir einen Meter Platz und achtern 50cm …
Ich erkläre Iman das geplante Manöver. Mit Leinenhilfe werden wir uns hier rausholen. Ich führe die Achterleine (wie eine Spring) luvwärts nach vorne, nehme die Springs von der Mittelklampe und schieße sie auf. Noch schnell einen Fender ans Heck. So kann der Wind uns an der Achterleine drehen, ohne das Néfertiti rückwärts auf das Motorboot treiben könnte. Ich starte den Motor. Der alte Herr, der schon bei unserer Ankunft die Leinen annahm, bemerkt, dass wir Anstalten treffen auszulaufen, und steigt von seinem Boot herunter, um uns zu helfen.
„Vorleine los!“ Iman wirft die Vorleine los. Der Wind drückt den Bug langsam vom Steg weg. Soweit so gut. Da bückt sich der alte Mann, um die Achterleine von der Klampe zu nehmen.
„Warten sie bis der Wind uns herumgedrückt hat!“
Vielleicht hätte ich Bitte sagen sollen, oder der alte Herr ist schwerhörig. Jedenfalls wirft er mir freudestrahlend die Leine an Deck. Noch ist der Bug nicht weit genug herum! Néfertiti fängt an langsam nach achtern zu treiben.
Ich verstelle den Schraubenhebel ganz gefühlvoll auf langsam voraus. Gerade soviel, dass Néfertiti auf der Stelle steht, bis der Wind den Bug soweit herum gedrückt hat, dass wir zwischen den beiden Päckchen durch laufen können. Puh! Das war knapp. Man sollte ein Manöver vorher immer mit allen (!) Beteiligten durchsprechen und nicht nur mit der Crew. Ich wende mich dem alten Mann zu, der gerade wieder an Bord seiner Bootes klettert:
„DANKE!!“ (Es ist ehrlich gemeint, trotz des Missgeschicks. Ich finde es toll, wenn sich Segler gegenseitig helfen und ich hoffe, dass die Inflation von Bugstrahlrudern diese schöne Tradition nicht kaputt macht.) Er hebt die Hand zum Gruß und verschwindet im Niedergang.
Néfertiti strebt gemächlich der Hafenausfahrt zu. Grauer Himmel. SW 3. Glatte Wattensee. Noch vor der roten Ansteuerungstonne der Hafenzufahrt setzte ich das Groß. Iman fällt ab. Das Segel hört auf zu killen und wölbt sich über uns. Motor aus. Frieden. Ich rolle die Genua aus und hole die Schot dicht. Néfertiti verneigt sich damenhaft und das Plätschern der Bugwelle hebt an.
Ich blicke Richtung Minsener Oog. Die Insel ist im Dunst nur zu erahnen. Hoffentlich wird die Sicht im Laufe des Tages nicht schlechter.
„Tee?“
Meine geliebte Steuerfrau nickt und ich steige den Niedergang hinab, um einen Becher und die vorbereitete Thermoskanne hoch zu holen. Néfertiti läuft an der Westspitze Wangerooges entlang. Wir schlürfen abwechselnd den heißen Ingwertee. Was für eine wohlige Wärme. Ich freue mich auf die See, während Iman sich zumindest in Gelassenheit übt…
Das Seegatt liegt still vor uns. Wir nähern uns der Barre.
„3,90 m“ Imans Stimme hat einen gestreßten Unterton, „3,50!“ Dabei sind wir doch ganz andere Tiefen gewohnt. Oder soll ich sagen Flachheiten? Wir sind jetzt ganz dicht bei der Barre, auf der westlichen Seite des Fahrwassers, die flacher ist als die andere Seite.
„Pass auf, dass uns der Strom nicht zu weit nach Westen versetzt! Da wird es flach.“
„Sollten wir nicht den Motor anmachen?!“
„Nein, Iman. Wir müssen nur ein bisschen abfallen und dann besser auf den Strom achten.“ Sie zweifelt. Sind das die Nachwehen des gestrigen Gespächs mit Uwe? Oder die Aufregung vor dem großen Schlag?
„Dann segel du!“
Iman übergibt mir das Ruder. Kurz darauf zeigt das Echolot wieder Werte jenseits der 4m und fällt dann stetig. Wir haben die Barre passiert. Ich muss an Uwe und die Rachel denken. Im Watt ist auflaufen ungefährlich, aber hier im äußeren Seegatt bedeutet auflaufen Strandung. Und wenn der Wind später zulegt… Auch wenn wir die Barre nicht an der tiefsten Stelle des Fahrwassers gequert haben: Für die Rachel könnte das bei halber Tide (zwei Stunden später) knapp werden.
Gegen 9.20 Uhr erreichen wir die Ansteuerungstonne Harle. Wir sind auf See. Ich falle auf achterlichen Wind ab.
„Übernimmst du mal kurz?“ Ich gehe auf das Vorschiff und baume die Genua aus. Nur noch den Bullenstander setzen. Schmetterling segeln. Als ich zurück im Cockpit bin, sucht mein Blick die Logge:
„ Ha! 3-4 Knoten. Wer sagt’s denn?“ Ich freue mich. Iman übergibt mir die Pinne. Sie scheint heute nicht so wild auf’s Rudergehen zu sein.
Hinter uns entdecke ich im Seegatt die unverwechselbare Silhouette der Rachel. Ist der Kapitän auf Großer Fahrt also doch auch schon früher aufgebrochen! Gut so. Sie laufen mit hoher Fahrt. Mal sehen wie lange es dauert, bis sie uns eingeholt haben.
Wir können die Tonne Jade 8, auf die ich gestern den Kurs abgesetzt habe, mit dem Schmetterling nicht anliegen und halten etwas weiter seewärts. Das tangiert unsere Navigation aber nicht ernstlich. Wie habe ich zu den Dänen gesagt: „All you get is a more or less good gess.“ Herkömmliche Navigation ist auf einem kleinen Seekreuzer mit so vielen Unsicherheiten behaftet, dass es letzten Endes auf eine gute Schätzung hinausläuft. Auch wenn wir die Tonne nicht genau treffen, wird es reichen, unseren Weg zu finden…
Néfertiti segelt auf einer friedlichen See. Sanft heben uns die Wellen und spielen behutsam mit unserer alten Königin. Ich klinke die Windfahnensteuerung ein. Diesmal steuert sie akkurat. Mein Blick geht zurück ins Kielwasser und weiter zur Rachel. Komisch. Haben die die Fahrt gedrosselt? Wahrscheinlich stehen sie jetzt an der Barre.
Etwas später zeigt uns die Rachel nicht mehr ihre Steuerbordseite sondern die Backbordseite. Der gute Uwe scheint auch gerne zu schnibbeln. Sie werden dicht unter Land laufen. Dann werden wir uns doch nicht mehr zum Abschied winken können. Obwohl. Auf die Entfernung ist es nicht gut zu erkennen. Ich greife zum Fernglas. Tatsächlich. Nach ein paar Minuten ist es amtlich. Nach dem Gespräch gestern kann ich mir ein Feixen nicht verkneifen, als ich zu Iman sage:
„Die haben es nicht über die Barre geschafft. Die laufen zurück.“
„Nein!“
„Doch!“ Iman greift nach dem Fernglas, aber wenig später ist es auch mit bloßem Auge zu erkennen. Die Rachel läuft nach Wangerooge zurück.
Wir segeln ostwärts. Im Cockpit herrscht eine angenehme Stille. Wir hängen beide unseren Gedanken nach. Plötzlich wendet Iman ihren Blick vom Horizont ab und sieht mich an:
„Klaus?“
„Ja.“
„Ich würde mich gerne hinlegen. Kommst Du alleine zurecht?“ Iman hat in der letzten Nacht wenig geschlafen.
„Klar. Leg dich hin.“
Iman zieht sich unter Deck zurück. Ich sehe durch den Niedergang, wie sie das Schlingerbrett einhakt und sich in ihren Schlafsack kuschelt. Als ich kurz darauf unter Deck gehe, um die Peilung vom Westturm in die Seekarte zu zeichnen, ist sie schon tief und fest eingeschlafen …
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Hallo Klaus,
toller Bericht – „ganz ganz großes Kino (wirklich ernst gemeint !!!!!!). Du musst bitte ein Buch über Eure Reisen verfassen.
Gruß !
Frank
Hi Frank,
Danke Dir :). Und was das Buch angeht: Ich ziehe es ernsthaft in Betracht …
Liebe Grüße
Klaus