Spät abends. Ich saß im Schein der Schreibtischlampe und stöberte im Internet nach Segelbooten. Nur mal gucken. Geld hatte ich eh keines. Dafür um so mehr Sehnsucht nach der See. Nach dem Segeln. Nach idyllischen Ankerplätzen… So suchte ich nach Futter für meine Träumerei vom Segeln. Plötzlich elektrisierte mich das Foto eines holländischen Segelbootes: Was für schöne Linien! Ich wußte vom ersten Moment an, dass dies “mein” Boot war. Das war verrückt, denn ich hatte so wenig Geld auf dem Konto, dass jede Kontaktaufnahme zum Verkäufer einer Beleidigung gleich gekommen wäre: „Würden sie mir ihr Boot auch für ein Viertel des Kaufpreises überlassen?“ Das ging nicht.

Da stand Néfertiti wie eine Königin zwischen den vergessenen und vernachlässigten Booten in der hintersten Ecke des Winterlagers…
Fortan schaute ich allabendlich nach „meinem“ Boot. Es war fast wie die Stunden auf den Stegen meiner Kindheit. Ich träumte von Néfertiti, die damals noch Kismet hieß, bis das passierte, was passieren musste: Von einem Tag auf den anderen, war die Anzeige verschwunden. Mir war zum Heulen zumute, aber was hätte ich machen können?
Ein Jahr später hatte mein Konto endlich etwas Rückenwind. Das harmonierte mit meiner Sehnsucht zu Segeln und so durchstöberte ich mal wieder die Bootsbörsen des Internets. Plötzlich machte mein Herz einen Sprung. Néfertiti wurde wieder angeboten. Vom gleichen Verkäufer. Der Preis war inzwischen gesunken und näherte sich meinen Möglichkeiten. Trotzdem gab es da noch eine kleine Differenz.
Ich rief meinen Cousin an. “Klar leihe ich Dir das Geld. Unter einer Bedingung.”
“Und zwar?”
“Du bringst mir Segeln bei.”
Wir wußten beide, dass ich das sowieso getan hätte. Als ich die Rückzahlung besprechen wollte, die ich in kleinen monatlichen Summen abstottern wollte, sagte Lutz:
“Du brauchst es nicht zurückzuzahlen.”
Wenig später fuhr ich mit dem Zug nach Holland.
Das Boot stand in der hintersten Ecke des Winterlagers, wo sich in jedem Hafen die vernachlässigten und vergessenen Boote versammeln. Aber was für erhabene Linien. Zwischen den zwei Motorbooten sah Néfertiti aus wie eine Königin… Eine heruntergekommene Königin: Moos wuchs an Deck und Tohuwabohu herrschte unter Deck. Aber eine Königin. Was die anderen Kaufinteressenten abgeschreckt haben mochte, schien mir äußerlich. Das was ich sah, war ein wundervolles Boot. Einige Schönheitsfehler, aber die neuralgischen Stellen waren alle gewartet. Die Substanz war gut und wenn man das Alter von 60 Jahren einrechnete sogar sehr gut. René, der Verkäufer, zeigte eine Engelsgeduld, während ich den ganzen Tag durch das Boot krabbelte. Nur den Motor konnte ich nicht testen, und in den Mast bin ich auch nicht gestiegen. Es kam mir so vor, als hätte Néfertiti nur auf mich gewartet. Als wir uns verabschiedeten räumte mir René eine Bedenkzeit von 2 Wochen ein, in der er mir das Boot reservieren würde.
Trotzdem wußte ich bis zum letzten Tag meiner Bedenkzeit nicht, ob ich zusagen oder absagen sollte. Mit dem Kaufpreis allein würde es ja nicht getan sein. Ich war hin und her gerissen zwischen meiner Liebe zu dem alten Boot und dem Bewußtsein, dass ich den Unterhalt kaum bezahlen konnte. Iman redete mir zu (trotz ihrer Angst vor der See!). Und meine Freunde auch. Aber eigentlich konnte ich mir ein Segelboot nicht leisten.
Das einzige, was ich wußte, war: Ich würde nicht handeln. (Was ich eigentlich gerne mache und auch ziemlich gut kann.)
Dieses Boot bedeutete mir zuviel, ich wollte es nicht durch Feilschen entehren. Zumal Renés geforderter Preis unter Wert war.
Abends wählte ich die holländische Telefonnummer. Was sollte ich nur tun? Ich fühlte mich wie ein Schuljunge, der sich zum ersten Mal mit einem Mädchen verabreden möchte. Was würde ich nur tun? Das Freizeichen ertönte. René nahm den Hörer ab.
Ich hörte mich sagen: “Ich kaufe das Boot.” War das meine Stimme?! Als ich eingehängt hatte – und deshalb erzähle ich diese Geschichte – war ich nicht überglücklich… Vorsichtig ausgedrückt. Nicht mal glücklich. Genau genommen ging es mir hundsmiserabel.
Ist das nicht seltsam?
Drei Tage lang wuchs jeder Rostfleck, den ich gesehen hatte, wurde größer und größer.
Drei Tage lang fühlte ich mich allein mit einem stählernen Klotz am Bein, der schwerer und schwerer wurde.
Drei Tage lang machte sich Angst in mir breit, wenn ich an das Boot dachte. Hatte ich mich überhoben?
Am dritten Tag fiel mir eine Übungsseekarte in die Hände. Ich hatte früher mit ihrer Hilfe geträumt: Kurse abgesteckt, imaginäre Peilungen genommen, Navigation geübt. Mein Blick fiel auf den Leuchtturm von Kegnäs. Ich las die Kennung heraus und plötzlich wurde mir bewußt, dass ich jetzt das Boot hatte, um dort entlang zu segeln. Dass ich nicht nur “ein” Boot besaß, sondern genau das Boot, von dem ich immer geträumt hatte. Es kam meiner Vorstellung von einem guten Segelboot so nahe, wie sich die Wirklichkeit einem Traum annähern kann.
Tags darauf traf ich David, einen befreundeten Bühnenbildner: “Ach Übrigens, ich kann schweißen. Wenn Du Hilfe brauchst…”
Und dann begegnete ich Jan und später Olli und Reinhard und Ebi und Silke und *… Alle boten ihre Hilfe an. Irgendwann begriff dann auch ich, dass ich nicht allein mit meinem wundervollen stählernen Klotz war!
Danke. Es ist schön, Freunde wie Euch zu haben!
♦♦♦
*…und Ralf und Boris und Jürgen und der andere Olli und Martin und Elvira und Thomas und Volker und Jörg und Philipp und Mami und Karl-Heinz und Bertram und José und Frits und Jitteke und Richard und Franzi und René und Marlies und Axel aus Wedel und Axel vom Steg und Julian und Mick und Sebastian und Lucky und Thomas und Kerstin und Helmut und Thomas, unseren Engel, und Martin und Walter und Michael und Tobias und Karin…
Hallo Klaus,
schön zu lesen, dass es noch immer jüngere Menschen gibt die sich fürs Fahrtensegeln auf kleinen Yachten begeistern können. Oft hat man den Eindruck als wenn es für junge Segler nur noch Chartern auf 45 Fuß Performance-Cruisern gibt.
Meine Frau und ich, wir sind 2013 mit 63 Jahren in den Ruhestand gegangen, um mehr Freizeit zu haben und um länger segeln zu können. Die Elbe und die Ostsee kennen wir recht gut und 2014 soll es in die West-Schären nördlich von Göteborg gehen.
Alle Gute für die nächste Saison 2014
Axel
Lieber Axel,
Ich verstehe Dein Unbehagen. Zum einen bin ich der Meinung man lernt auf kleinem Boot schneller.
Zum anderen wächst man mit einem kleinen (eigenen) Boot in die Eigner-Verantwortung hinein. So hat mir der Kommentar eines Versicherers auf facebook zu denken gegeben. Anläßlich des Xaver-Artikels lobte er mein Ausharren an Bord als vorbildlich. Also etwas, das ich für selbstverständlich halten würde. Man sorgt sich doch um sein Boot bei extremen Verhältnissen. Ich frage mich, ob sich da eine Chartermentalität (die Versicherung zahlt schon) fortsetzt, wenn man irgendwann doch ein eigenes Boot besitzt.
Schön, wenn das alles wäre. Aber leider schafft die Charterei auch Probleme für Nicht-Charterer: In Gebieten in denen viel gechartert wird steigen die Preise für alle Boote, nicht nur für die Charterer. Nur, dass diese die Preissteigerungen leichter auffangen können. Z.B.: Wenn ich mit 6 Leuten 10 Tage segeln gehe (Chartere) und jeder Hafen will „nur“ 60€ Liegegeld, teilt man sich den Betrag durch 6 und am Ende des Urlaubs hat jeder 100€ Liegegeld bezahlt. Das ist für den einzelnen ok. Und gemessen an der Chartergebühr vielleicht sogar ein geringer Posten. Außerdem spart man die anderen Unterhaltskosten für das Boot.
Als Eigner eines kleinen Bootes sieht die Rechnung aber ganz anders aus: Da man sich die Kosten nicht teilen kann, zahlt man in 10 Tagen 600€. Da stoßen Langfahrtsegler schnell an Grenzen. Wenn dann auch noch alle geschützten Ankerbuchten in Marinas umgewandelt werden …
Da freut man sich doch im Norden Europas zu segeln, wo die Entwicklung noch nicht so weit fortgeschritten ist.
Liebe Grüße
und die allerbesten Wünsche auch für Eure nächste Saison
Klaus
Hallo Klaus,
das Chartern ist sicher ein Trend der Zeit und ich habe selber schon in anderen Revieren z.B. Karibik gechartert. In diesen Revieren ist Chartern aber auch ein Einnahmequelle der Einheimischen und trägt auch zur Preisspirale bei. Aber ich habe etwas Unbehagen wenn ich mir die Scene des Fahrtensegelns allgemein ansehe. Immer grösser, immer schneller aber immer weniger Zeit. Worum es beim Fahrtensegeln geht ist bei vielen wohl noch nicht angekommen. Vielleicht ist das ja auch ein Trend der Zeit?
Aber egal, Winterzeit ist Arbeitszeit am Boot und Planung neuer Segelreisen. Wenn Du möchtest kannst du mir gerne auch eine mail schicken und ich würde mir Nèfertiti gerne mal anschauen.
Grüsse aus Wedel
Axel
Lieber Axel,
wie bei allen Trends gibt es da auch einen Gegentrend. Ich denke an Digger, dem man das „Downsizing“ in den Mund gelegt hat, oder die vielen Folkebootsegler, die bloggen. Bastian Hauck, „faein raus“ oder auch „Sieben“ … Lauter Leute, die über das Segeln schreiben und in kleinen Booten unterwegs sind. Und die Beweggründe, warum man fahrtensegelt sind vermutlich so zahlreich wie die Segler selbst…
Wenn Du Lust hast, kannst Du Dir Néfertiti gerne mal anschauen. Wenn ich ein bisschen länger am Boot bin, schicke ich Dir gerne eine Mail.
Liebe Grüße
Klaus
Servus Klaus,
es tut gut zu lesen, dass ein anderer die Angst ausgehalten hat, sich mit dem erträumten Boot einen Klotz an das Bein zu holen und es dann, trotz allen Einsichten, dennoch tut. Vermutlich wird es noch eine schöne Geschichte. Lese gleich weiter. Stecke selbst in diesem Prozess und gerade genau da, wo es nagt, Ungewissheiten größer werden, man mit sich hadert, dass man zuviel geträumt haben könnte und nicht mehr weiß, ob es gut wird. Die Unterstützung von der Du erzählst, die bringt es wahrscheinlich unheimlich. Bin nach dem Kauf jetzt schon zwei Monate nicht mehr beim Boot gewesen. Bin zuweit weg vom Boot, das auch in Holland, Roermond im hinteren Eck auf der Marina steht. Das Refit kann erst angehen, wenn das Übernachten auch auf dem Camping geht. Für mich ist es auch eine ganz low budget Nummer, auch ein altes Holland Stahlboot, wofür nicht mal das Geld so richtig da ist. Die ersten Zeilen von Dir waren gleich so gut! Finde Deine Geschichte gut, auch weil das Segeln mit einfachen Mitteln möglich gemacht wird und die Schönheit in einem alten Stahlboot ist!
Viele Grüße
rob
Lieber Rob,
Danke für diesen wunderschönen Kommentar und herzlichen Glückwunsch zum Boot! Toi, toi, toi. Wir hatten mit Néfertiti wirklich Glück, weil sie uns bis jetzt keine kostspieligen Reparaturen abverlangt hat.
Tatsächlich haben wir auf Norderney einen Namensvetter von Dir getroffen. Sein Freund Gerrit hat mir folgenden wunderschönen Rat gegeben, wenn man ein altes Segelboot mit wenig Geld wieder her richten möchte (Vorsicht Spoiler, der Artikel erscheint voraussichtlich Anfang Februar) „Mach langsam. Stück für Stück. Immer, wenn du ein bisschen Geld übrig hast. Und ganz wichtig: Vergiss das Segeln zwischendurch nicht!“
Liebe Grüße
Klaus
Servus Klaus, danke auch für Deine besten Wünsche. Ich verstehe gut, allein das Wort Spoiler kann einen schon niederstangeln! Glaube fast, dass das was ich Schönheit genannt habe, für Euch das noch größere Glück an Nefertiti ist, als die ausgeblieben Kosten. Bin auf Deinen Artikel zum Überholen von Booten gespannt. Was mir gut gefällt, dass Du trotz Überholung die Patina erhalten konntest. Von Thies Matzen hatte ich das über die Wanderer beschrieben gelesen, wie das Erschaffene seiner Schönheit wegen nicht vergehen kann. Bei ihm war ich natürlich auch völlig weg, ihm seine Geschichte war so das erste in der Welt des Segelns, das ich dann wie ein Kunstwerk verschworen unterm Tisch weiter gezeigt habe.
Lieben Gruß und Glückwunsch zum Blockstöckchen Award
rob
Lieber Rob,
ich habe mich bei Néfertiti auch erst einmal in das Äußere verliebt, aber auf Dauer hält eine Liebe nur, wenn die Inneren Werte der äußeren Schönheit ebenbürtig sind. Das ist bei Booten nicht anders als bei Menschen…
Mit Spoiler meinte ich tatsächlich das eine Zitat. Es ist auch ein Reisertikel. Es geht nicht um die Überholung von Booten. Sorry, wenn das mißverständlich war. Ich hatte nur den Eindruck, dass Gerrits Tipp auch für Dich von Nutzen sein könnte…
Liebe Grüße
Klaus
Hallo Klaus,
ich bin über Facebook irgendwie auf diese Seite gekommen. Mir ging es sehr sehr ähnlich, als ich letztes Jahr meine Comfort 26 gekauft habe. Mit Vergnügen werde ich Deinen Blog verschlingen.
Na dann Guten Appetit
Ja, das war keine leichte Entscheidung damals. Aber nach den ersten schweren Tagen war Néfertiti nur noch ein fortwährender Hort der Freude.
Viel Glück mit Deinem Refit!
Liebe Grüße
Klaus