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Segeln als Digitale Nomaden

Trockenfallen

Jun• 27•19

Langsam gleitet Néfertiti in das Hafenbecken Finkenwerders. Vorbei am alten UBoot Bunker. Es ist 6.40 Uhr. Perfekt. Noch fünf Minuten bis Hochwasser. Ayman, Imas Bruder, steht am Niedergang. Aus dem Weg. Ohne dass ich irgendetwas hätte sagen müssen. Wir wollen hier trockenfallen, um das Unterwasserschiff zu reinigen.

Néfertiti Muschelzucht Trockenfallen

Ein Biotop …

Ich stoppe auf und krame in der Backskiste. Lege einen Festmacher über unsere Mittelklampe. Heute morgen war keine Zeit mehr, um ihm die Knoten beizubringen, die man braucht, um Leinen und Fender anzubringen. Deshalb sind wir übereingekommen, dass ich alleine anlege. Dafür hat er uns fast den ganzen Weg hierher gesteuert. Als das Anlegemanöver vorbereitet ist, greife ich zum Gashebel. Gemächlich nimmt Néfertiti Fahrt auf. Mal sehen, wo es zum Trockenfallplatz geht.
„I am searching the right entrance.“ Ayman nickt. Die nächste Gasse erweist sich als die Richtige. Deutlich kann ich die vier Dalben erkennen, zwischen denen der Platz zum Trockenfallen liegt. Leer.

Vorbei an unzähligen Segelbooten streben wir dem Ufer zu. Gleiten mit Schleichfahrt an den Platz zwischen den vier Pfählen. Ayman geht auf den letzten Metern vor zum Bug, er will helfen, macht Zeichen, dass ich weiter ab halten solle. Wer ist hier denn der Kapitän?! Entgegen seinen Handzeichen kommt Néfertiti genau richtig. Ich stoppe auf und belege die Mittelleine. Dann bringen wir gemeinsam Vor- und Achterleinen aus. Laut Echolot haben wir noch 50 cm unter dem Kiel. Das gibt uns Zeit:
„Do you like breakfast?“
„Yes. Would be great.“ Ayman ist unabhängiger Spieleentwickler in Kairo. In Prag fand eine Spielemesse statt, zu der er eingeladen war. Die Veranstalter hatten ihm sogar einen Stand gesponsort. Aber Tschechien schottet sich ab. Die tschechische Botschaft hat ihm kein Visa erteilt. Genau genommen nicht einmal einen Termin zur Antragstellung. Einmal wöchentlich durfte man von 15.00 bis 16.00 Uhr eine Email schicken mit der Bitte um einen Termin, die dann umgehend beantwortet wurde mit einer Mail, es gäbe keine freien Termine mehr. Auch um 15.00 und 3 Sekunden und 15 Uhr und 0 Sekunden. Nach drei Wochen hat er sich verzweifelt an die Deutsche Botschaft gewendet, um ein Visa für Deutschland zu erhalten und dann sozusagen über Schengen nach Tschechien einzureisen. Aber auch das dauerte länger als sonst. Das Visum wurde immerhin ausgestellt. Leider ein paar Tage zu spät. Da war die Messe schon gelaufen. Kurzerhand nutzte er das Visum, um für zwei Wochen nach Deutschland zu kommen und uns zu besuchen.

Elbe

Ayman, Imas Bruder


Nach einem kurzen Frühstück nehme ich die Fender weg, so dass Néfertiti auf Tuchfühlung mit der hölzernen „Spundwand“ ist, als sie den Grund berührt. Wie aufregend war das damals beim ersten Mal Trockenfallen. Jetzt fühle ich keine Aufregung. In mir ist vor allem Freude, dass heute Abend unser Unterwasserschiff bewuchsfrei sein wird. Gemischt mit etwas Respekt vor den anstrengenden Stunden bis dahin. Da sich das Grünzeug nass besser abschrubben lässt, stehen wir bald bis zu den Hüften im Wasser und schrubben. Anderthalb bis zwei Stunden bleiben uns, bis der Trockenfallplatz  trocken sein wird.

Das Schrubben ist anstrengend. Immer wieder ratsche ich mit der Holzseite des Schrubbers über die Bordwand. Eintauchen ins Wasser. Mit den Borsten das Grünzeug am Wasserpass abschrubben. Mit dem Holzteil die Seepocken abkratzen. Nach meiner Erfahrung schafft man später bei steigendem Wasser viel weniger, da der Bewuchs dann angetrocknet ist. Also legen wir uns jetzt ins Zeug.

Wir schaffen fast beide Seiten. Das ist jetzt das achte Jahr ohne neuen Giftanstrich. Wer in nordischen Tidengewässern segelt, braucht nicht jedes Jahr Gift in die Umwelt zu bringen. Man muss nur trockenfallen und den Schrubber schwingen… Obwohl Ayman schmunzeln muss:
„So much work, for so little effect. Do you know what Tchernobyl did to the environment, or Fukushima?“ Da sitzen wir gemütlich unter dem Sonnendach im Cockpit und trinken Tee.
„We have to start somewhere.“ Bevor wir zu unserem großen Törn Richtung Süden auslaufen, muss Néfertiti auch neu gestrichen werden, aber diese Saison brauchen wir kein neues Antifouling. Ich finde, dass jeder für sich selbst entscheiden muss, wie er die Umwelt belastet. Mir fällt das Abkratzen leicht, während ein neuer Motor zur Zeit unerreichbar ist. Ein anderer kann garnicht trockenfallen. Dafür fahre ich selten Auto und nie allein …

Container schiff am Kai

Im Hamburger Hafen


Es ist sommerlich heiß. Für das Mittagessen wärmen wir Kosheri auf, das Ayman vorgekocht hat. Köstlich. Ima fährt heute nach Berlin, wo sie ihrerseits Visa-Angelegenheiten zu regeln hat. Besuch bekommen wir trotzdem. Marlies kommt, um uns anzufeuern. Da ist das Wasser aber noch abgelaufen und es gibt niemanden anzufeuern. Irgendwann sehe ich Matina, die Gästebetreuerin des SVFH. Sie läuft über die Brücke zur Steganlage und winkt herüber. (Für Hamburg Besucher, die sich ohnehin eine Tageskarte des HVV holen, ist die Steganlage des SVFH durchaus eine Alternative zum City-Sport-Hafen. Es gibt keinen Schwell, aber gelegentlich Flugbetrieb bei Airbus nebenan. Ein Euro pro angefangenen Meter, Gas und Strom inklusive. Ab einer Woche gibt es gestaffelt teils erhebliche Rabatte und freies WLAN allerdings nur im Vereinshaus, in dem auch die sanitären Einrichtungen untergebracht sind. Um in die Stadt zu kommen, nimmt man die Fähre -Station Rüschpark- in fußläufiger Entfernung.)

Irgendwann ist das Wasser wieder da und ich nehme die letzten Stellen in Angriff. Ayman hat schließlich Urlaub. Da er meistens derjenige ist, der seine Mutter pflegt, kann ich mich gut einfühlen, wie wertvoll für ihn diese zwei freien Wochen in Deutschland sind. Noch die Anoden abkratzen und schnell das Ruderblatt mit Melkfett einschmieren. Als Test. Mal sehen, was das bringt und wie schnell das wieder herunter ist… Dann steht noch einmal Warten auf dem Programm.

Als wir zehn Zentimeter Wasser unter dem Kiel haben, werfen wir die Leinen los. Laufen mit langsamer Fahrt durch die Boxengasse.

„Hi Mik!“ Heute morgen hatte ich schon die Papalagi, das Boot eines Freundes, gesehen. Für mich eines der schönsten Boote des Hafens. Jetzt ist er an Deck.
„Hey, Klaus.“ Ich nehme Gas heraus und wir schnacken kurz.
„Wollt ihr nicht noch eine Nacht hierbleiben?“
„Nee, wir wollen nach Hause.“
„Dann beeilt Euch besser.“ Er zeigt nach Westen. Dort hat sich der Himmel nach einem heißen wolkenlosen Tag grau zugezogen, und ich habe es noch nicht einmal gesehen. Ich hebe die Hand zu einem Abschiedsgruß und gebe Gas. Langsam streben wir der Hafenausfahrt zu. Am Bunker vergnügen sich Jugendliche. Zwei springen vor uns ins Wasser und versuchen vor uns ans andere Ufer zu schwimmen. Ich stoppe auf, bis der Weg wieder frei ist. Denke mal, der Selbsterhaltungstrieb entwickelt sich erst, wenn man etwas älter ist. Enthalte mich aber jeden Kommentars.

Erpel

Freundlicher Besuch

 

Auf der Elbe setzen wir die Genua samt schwarzem Kegel. Wir schaffen es nicht ganz. Auf den letzten dreihundert Metern setzt die erste Starkwindbö ein und es fängt an zu regnen. Und ich habe mein Ölzeug zu Hause gelassen. Trotzdem fühle ich mich großartig. Néfertitis erste Fahrt dieses Jahr! Wenig später sind wir fest und retten uns vor dem Unwetter erst einmal in die Kajüte. Während Regen auf das Deck trommelt, lassen wir es uns gut gehen. Mit Ostfriesentee, Kluntjes und Sahne. Das Trockenfallen war ein voller Erfolg. Jetzt können wir los. Ich kann Euch gar nicht sagen, wie sehr ich mich auf diesen Sommer freue!

 

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4 Comments

  1. Julian Buss sagt:

    Hallo Klaus,

    wo genau ist dieser Platz zum trockenfallen? Ich habe auf Google Maps gesucht aber nix gefunden… kannst du den Weg dahin beschreiben?

    Ich hoffe es geht Euch gut!

    • Klaus sagt:

      Hi Julian,
      uns geht es allen gut, obwohl dies kein schönes Jahr war, von unserem Segeltörn ins Watt mal abgesehen.
      Der Trockenfallplatz liegt direkt neben der Slipanlage, Richtung Elbe.

      Habe Dein Boot im City Sport gesehen. Du warst leider nicht an Bord. Vielleicht hast Du ja Lust die Tage mal einen gemeinsamen Kaffee zu trinken?

      Liebe Grüße
      Klaus

      • Xenia sagt:

        Hallo Klaus,
        das Jahr neigt sich dem Ende zu. Du schreibst, es nicht schön, ich hoffe, dass das nächste besser wird!
        Herzliche Grüße auch an Ima von Xenia

        • Klaus sagt:

          Liebe Xenia,
          wie schön, dass Ihr noch an uns denkt. Wie geht es Frank? Ich arbeite momentan an der Vollendung meines nächsten Buchs (über Segeln und Digitales Nomadentum), das auf der Reise spielt, auf der wir uns auch kennengelernt haben.

          Wenn das Manuskript hoffentlich zum neuen Jahr in erster Fassung vorliegt, werde ich hier im Blog von unserem letzten Sommer im Watt erzählen. Es war recht windig die ganze Zeit, aber wir haben trotzdem viel geankert und eine tolle Zeit gemeinsam verlebt. Natürlich ist auch mal wieder einiges schief gegangen, aber wir haben das Beste aus allen Situationen gemacht. Demnächst fliegt Ima nach New York wo unser jüngster Film Jeanne d’Arc Masriya auf einem Festival gezeigt wird.
          Uns geht es gut. Ich bin aus dem Loch heraus, in das ich durch den Tod meines Vaters und die boshaften Attacken meiner Stiefmutter gerissen wurde.
          Das Leben ist wieder schön! :D
          Alles Liebe
          Klaus

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