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Segeln als Digitale Nomaden

Ankern im Watt oder: Eine gute Seele

Feb• 23•20

Als ich aufwache weht es immer noch ordentlich. In den Böen heult der Wind im Rigg. Ich schäle mich aus dem Schlafsack und werfe einen Blick in die Runde. Die Tide ist gekentert. Das morgendliche Niedrigwasser ist schon durch. Néfertiti liegt noch im Schutz der Sandbänke und bewegt sich kaum. Aber die Sonne scheint und der Himmel sieht freundlich aus. Auch wenn die ersten Zirren zu sehen sind. Ich schiebe das Luk vorsichtig wieder zu, aber Ima ist doch aufgewacht:
„Guten Morgen, Habibi.“
„Guten Morgen, Ima.“
„Krieg ich einen Kuss?“

Sandbank

Unser kleines privates Paradies

Na klar! Es bleibt nicht bei einem Kuss. Sie zieht mich zu sich herunter und am Ende liegen wir eng umschlungen in Imas schmalen Koje. Nach einer Weile haucht sie mir ins Ohr:
„Habibi, du bist das Auge meines Herzens, der Mond meiner Seele, die Sonne meines Lebens.“ Diese herrlichen arabisch poetischen Liebeserklärungen meiner Frau! Ich lächele sie an und sage nichts.
„Habibi, das war eine Liebeserklärung.“ Und was für eine! Aber ich bin in der Stimmung sie zu necken und sage:
„Ja, danke.“ Ich erhebe mich und klettere umständlich aus der Koje, lasse eine vollkommen konsternierte Ima zurück und frage als wäre nichts:
„Hast du Lust auf einen Tee?“
„Habibi…?“ Dann kann ich es aber selbst nicht aushalten und beuge mich zu ihr hinunter und flüstere ihr ins Ohr:
„Habibti, ich liebe dich aus ganzem Herzen. Du bist der Mond meines Lebens, das Auge meiner Seele, die Sonne meines Herzens.“ Jetzt strahlt sie, gibt mir einen spielerischen Knuff und sagt:
„Omann. Ich dachte schon es wäre irgendwas. Du drama … turgischer Dramaturg, du!“ 
Ich setze erst meine Unschuldsmiene und dann Teewasser auf.

Den heißen Tee trinken wir im Cockpit.
„Hast Du Lust auf eine Wattwanderung?“
„Unbedingt.“
„Dann sollten wir uns etwas beeilen.“ Schließlich läuft das Wasser schon auf. Ich schleppe das Schlauchboot an Deck und pumpe es auf. Da die Seehunde im Nicht – Naturschutzgebiet liegen, rudern wir auf die andere Seite. Der Flutsaum ist auch auf dieser Seite zugänglich, ohne das man die Naturschutzgebiets-Regularien verletzen würde.

Blick durch das Schott Néfertitis

Sonne, Regen, Sonne, Regen …

Ich liebe das Watt. Kurz vor dem Strand lasse ich die Ruder hängen und steige aus. Kalt umspült das Nordseewasser meine Füße und  Waden. Einen Moment lang, dann fühlt es sich gar nicht mehr kalt an. Ich ziehe das Schlauchboot die letzten Meter zum Strand. Aber auch Ima kommt nicht trockenen Fußes an Land. Weit und breit ist hier niemand außer uns. Ich liebe diese Einsamkeit des Watts. Gemeinsam ziehen wir das Dinghy ein paar Meter auf den Strand. Ich haue den Anker in den Sand. Auch wenn wir nicht rechtzeitig zurück sein sollten, bevor die Flut unser Beiboot aufschwimmen lässt, wird sie es nicht entführen. Barfuß stapfen wir am Wasser entlang. Sammeln ein paar Austern, ein paar Algen und eine Menge Plastikmüll. Nicht, dass er einem auf den ersten Blick ins Auge springen würde, denn der Sand deckt alles mildtätig zu, aber wenn man einmal anfängt zu sammeln ist man schockiert, wieviel Plastik hier herumliegt. Irgendwann bleibt Ima stehen und greift meine Hand.
„Sag mal Klaus?“
„Ja.“
„Warum ist es so schön mit dir?“ Was antwortet man denn auf Sowas? Ich zucke nur lahm mit den Schultern.
„Magst du uns gleich noch mal so ein leckeres Brot backen?“
„Klar.“ Sie umarmt mich und wir gucken gemeinsam auf das Wasser hinaus. Das Leben ist schön.

Regenbogen im Watt bei Baltrum

Sonne, Regen, Sonne, Regen …

Zurück an Bord sitze ich erst einmal im Cockpit und schrubbe die Austern, während Ima eine Avokado – Algencreme zaubert. Als Vorspeise gibt es Austern mit Zitronensaft. Danach mache ich mich ans Brotbacken. Diesmal rühre ich etwas Honig unter den Teig. Mal sehen, wie das meiner Süßen schmeckt.

Draußen ist es zu windig, deshalb sitzen wir bald in der Kajüte und frühstücken.
„Irgendwie schmeckt das anders als sonst, aber lecker!“ Während wir es uns gut gehen lassen beginnt Néfertiti wieder in der kurzen Welle zu arbeiten. Noch halten sich die Bewegungen in Grenzen, aber das wird jetzt von Stunde zu Stunde zu nehmen. Für heute sind fünf bis sechs Windstärken angesagt aus Südwest bis West. Morgen vier bis fünf. Nicht gerade das ruhigste Wetter um romantisch zu ankern. Eigentlich wollten wir weiter nach Westen. Zwar ist der Wasserstand 30 bis 50 cm höher als normal, aber wir werden kaum über beide Wattenhochs hinter Baltrum und Norderney kommen. Wir könnten zwar zwischen den Inseln ankern, tief genug wäre es da. Sollte der Wasserstand zwischen den Hochwassern aber wieder fallen, wären wir hinter den Inseln eingesperrt. Nein, wenn wir weiter gen Westen wollen, müssen wir außen herum, aber das ist bei diesen Bedingungen keine Option. Soweit bin ich mit meinen Überlegungen als Ima fragt:
„Wollen wir heute hier bleiben?“ Von mir aus. Ich nicke.
„Gerne. Aber es wird schaukelig werden. Der Wind weht genau den Priel entlang, gegen die Tide.“
„Das macht mir nichts aus. Manchmal finde ich das sogar ganz schön.“ Naja. Das wird auch noch heftiger werden.

Seln im Watt nahe Hochwasser bei Starkwind

Nahe Hochwasser herrscht immer etwas Verkehr …

Während ich ein, zwei Stunden an dem Buch über Digitales Nomadentum arbeite, und danach einen Schmöker aus dem Regal ziehe – schließlich haben wir eigentlich Urlaub – schreibt Ima noch an ihrem Report für die EU. Sie ist dieses Frühjahr durch die Arabische Welt gereist und hat verschiedene Frauenprojekte evaluiert. Aber irgendwann demnächst braucht sie die moderne Lebensader Internet.
„Am Donnerstag müsste ich zum Arbeiten in einen Hafen.“
„Okay.“
„Am Liebsten würde ich nach Spiekeroog, da kennen wir uns aus.“ Dem habe ich nichts entgegenzusetzen außer dem diffusen Wunsch nach Westen zu segeln. Aber der Weg scheint uns momentan sowieso verwehrt.
„Okay.“
„Ich freue mich schon auf meinen richtigen Urlaub.“ Diesmal meint Ima keinen Hafen sondern die Abgabe des Reports. Für mich hat der Urlaub längst angefangen. Das Schreiben an dem Buch für Delius und Klasing ist für mich eher Vergnügen.

Wie kann ich euch diese Tage im Watt beschreiben? Das Wetter ist nicht ideal. Sonne, grauer Himmel, der immer mal wieder aufreißt und sich wieder zuzieht. Regenschauer, Seehunde, die neugierig zum Boot kommen, wann immer einer von uns sich im Cockpit zeigt. Wir leben im Takt der Tide. Kommen die Sände heraus, rudern wir an Land, wenn sie versinken, rudern wir zurück. In den Stunden um Hochwasser liegt Néfertiti unruhig. In den Stunden um Niedrigwasser wie auf einem Ententeich. Egal wie stark es weht.

Fischkutter im Watt der Ostfriesischen Inseln

Arbeitsplatz Watt

Auch sehen wir jeden Tag den gleichen Fischer und ein kleines Ausflugsboot, das Touristen zur Seehundbank karrt. Da Letztere eher nahe Niedrigwasser kommen, müssen sie sehr dicht passieren. Nur drei bis fünf Meter Abstand. Aber es gibt kein böses Blut auf keiner Seite. Wir winken uns jedes Mal zu. Genauso herzlich sind die Begegnungen mit dem Fischer, der doch gelegentlich auch sehr nahe kommt. Ich glaube, auch wenn das hier ihr Arbeitsplatz ist, sie lieben das Watt genauso wie wir. Und irgendwie verbindet uns diese Liebe.

Am Dienstag, nahe Hochwasser, entlässt das Wattfahrwasser wieder einen Schwall Boote, die dicht an uns vorbei segeln. Draußen ist es ungemütlich grau und Néfertiti arbeitet in der Welle. Wenn auch nicht so stark wie am Tag zuvor. Von meiner Koje aus sehe ich ein Segel vorbei ziehen.   Auf der flacheren Seite, wo die Austernbank liegt. Wir kennen uns hier ja inzwischen gut aus. Plötzlich erwacht draußen die Maschine. Mein erster Gedanke ist: Hoffentlich ist er nicht aufgelaufen, obwohl auch auf der Austernbank jetzt genug Wasser stehen sollte. Schnell öffne ich das Schiebeluk und steige den Niedergang halb hinauf. Die Yacht steht im Tiefen, hat die Genua eingerollt und kommt zu uns zurück.
Der Mann am Ruder ruft:
„Braucht ihr Hilfe?“ Ich bin einen Moment perplex. Wow! Das finde ich toll. Der hat extra die Segel für uns herunter genommen und ist zurückgekommen, nur um zu fragen, ob es uns gut geht? Das ist feinste Seemannschaft!
„Nee, danke. Bei uns an Bord ist alles okay.“
„Ich dachte nur, weil das ja ein unüblicher Platz zum Ankern ist.“ Ich bin tief gerührt. Warum können wir Menschen nicht alle so sein? Ich lasse meinem Herzen freien Lauf und sage:
„Das finde ich toll von Dir, dass du extra nachfragst. Ich bin ganz gerührt.“ Er winkt ab. Auch Thomas werden wir später noch näher kennenlernen. Ihm steht eine tagelanges Martyrium bevor, aber davon mehr bei späterer Gelegenheit. Jetzt rollt er seine Genua wieder aus, stoppt die Maschine und segelt querbeet weiter. Wir winken ein letztes Farewell. Ima guckt mich mit großen Augen an, als ich wieder in die Kajüte heruntersteige und das Schiebeluk schließe:
„Was war denn das?“
„Eine gute Seele!“

 

♦♦♦

 

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4 Comments

  1. Matthias sagt:

    Hallo Klaus,
    Wie schön, wieder von Dir zu lesen! Das 2019 Dir so viele seglerische Erlebnisse bereitete, hätte ich gar nicht gedacht.
    Wie immer sprachlich erstklassig geschrieben und sehr authentisch.
    Ich bin mir sicher, Dein Buch wird ein Erfolg
    Was mir immer mehr auffällt:
    Boot und Mann haben sich ideal zusammengefunden. Etwas anderes als ein Langkieler aus Stahl wäre einfach nicht das richtige für Dich. 😁
    Man sieht sich!
    Liebe Grüße
    Matthias

  2. Klaus sagt:

    Hi Matthias,
    Was macht denn Dein Boot?

    Ja, Néfertiti und ich habe uns gefunden. Das Verrückte ist, dass ich das von der ersten Sekunde an wusste. Auch wenn ich mir nie hätte träumen lassen, dass wir so oft … ähm …

    Ich wusste damals, dass Néfertiti ein starkes Boot ist, mit dem man Dinge machen kann, die man anderen Booten lieber nicht zumutet. Sie ist jetzt fast siebzig Jahre alt. Unglaublich, was?
    Liebe Grüße :)
    Klaus

    P.S. Da kommt übrigens noch mehr. Ich habe mir einen wirklich schlimmen Fehler erlaubt. Gefährlich und dumm! Vielleicht auch unbewusst im Wissen um die Stärke Néfertitis. Wie durch ein Wunder sind wir mit einem blauen Auge, nein genau genommen sogar ohne ein blaues Auge davon gekommen. Unverdient und mit Wahnsinnsglück! Aber mehr davon später, wenn der Artikel chronologisch dran ist…

    • Matthias sagt:

      Danke Dir, für Deine fehlende Scheu, offen über weniger geglückte Entscheidungen zu berichten. Ich lerne sehr viel daraus.

      Mein Boot? Nun, ich bin wochenweise an Bord und führe Reparaturen durch. In der Vergangenheit war es so, dass ich dabei immer neue Baustellen endeckte und die To-Do-Liste am Ende der Reparaturwoche länger war, als zu Anfang. Nun war es im Januar erstmals so, dass ich am Ende der Woche mit einer GERINGEREN Aufgabenlast heimkehrte. Ein erster Trend in die richtige Richtung zeichnet sich also ab. Mal sehen, ob sich das fortsetzt.
      Ich bleib aber am Ball. Ich weiß, ich kann Berge versetzen. Löffelchen für Löffelchen …..

      • Klaus sagt:

        „Ich weiß, ich kann Berge versetzen. Löffelchen für Löffelchen…..“
        Lieber Matthias, wow! Deine Einstellung finde ich toll. Respekt!
        Liebe Grüße :)
        Klaus

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